37. Sarapion.
Sarapion, zubenannt mit dem kurzen Mantel (denn niemals trug er ein anderes Gewandstück), übte die Besitzlosigkeit in hohem Grad; er besaß große Fertigkeit im Lesen und Schreiben und wußte die ganze Schrift auswendig.1 Gerade wegen seiner Armut und der Beschäftigung mit der Schrift war es ihm unmöglich, einsam in der Zelle zu bleiben; doch trieb ihn kein S. 394 weltlicher Beweggrund, überall umherzuwandern, sondern das Verlangen, solcher Tugendübung überall Anhänger zu gewinnen. Denn so beschaffen war seine Charakteranlage; Anlagen gibt es ja verschiedene, wenn auch die Natur immer gleich ist.
Von ihm erzählten die Väter, daß er eine Asketin zur Gefährtin nahm2 und in einer Stadt um zwanzig Goldstücke sich an eine heidnische Schauspielerfamilie verkaufte. Das Geld versiegelte er und verwahrte es bei sich. Er diente seinen Gebietern so lange, bis es ihm gelungen war, sie zum Christentum zu bekehren und vom Theater fernzuhalten.3 Er genoß nur Brot und Wasser und mühte sich damit, andern die Schrift auszulegen. Nach langer Zeit bekehrte sich der Mann, hierauf die Schauspielerin, zuletzt das ganze Haus. Solange sie nicht wußten, wen sie zum Sklaven hatten, soll er ihnen die Füße gewaschen haben. Beide ließen sich also taufen, entsagten der Schauspielerei und führten ein tugendhaftes und gottesfürchtiges Leben. Zu Sarapion aber sagten sie: "Wohlan, Bruder! Wir machen dich frei, denn du selber hast uns frei gemacht von einer schändlichen Sklaverei." Er sagte: "Nachdem Gott euere Seelen gerettet hat, sollt ihr mein Geheimnis erfahren. Ich bin ein freigeborener Mann aus Ägypten, weihte mich dem asketischen Leben und verkaufte mich dann aus Erbarmen mit euren Seelen, um euch zu retten. Weil es nun Gott so gefügt hat, daß durch meine Demütigung euere Seelen in der Tat gerettet wurden, nehmet euer Geld und lasset mich weiterziehen, damit ich anderen ebenfalls helfe!" Da baten sie flehentlich und versprachen: "Wir wollen dich als unseren Vater und Herrn achten, nur geh' nicht fort!" Aber sie konnten ihn nicht S. 395 überreden. Sie sagten also: "Gib das Geld den Armen, denn es ist uns das Angeld zum Heile4 geworden, und komm' doch wenigstens jedes Jahr auf Besuch!"
Auf seinen beständigen Wanderungen kam er nach Griechenland und hielt sich drei Tage lang in Athen auf, doch gab ihm niemand Brot, denn er hatte weder Geld noch Tasche noch einen Schafpelz noch etwas anderes dergleichen. Als der vierte Tag angebrochen war, hungerte ihn sehr, denn gezwungenerweise Hunger leiden ist entsetzlich, zumal wenn man nicht einmal Glauben findet. Er ging auf einen Hügel der Stadt, wo die Stadtvorsteher sich versammelt hatten, schlug mit den Händen heftig an die Brust und jammerte laut: "Hilfe, Hilfe, Männer von Athen!" Da liefen alle zusammen in Philosophenmänteln und Handwerkskitteln und sagten: "Was hast du, Mann? Und woher bist Du? Oder was fehlt dir?" Er sprach: "Ein Ägyptier bin ich von Geburt; seitdem ich aber mein wahres Vaterland verlassen habe, fiel ich drei Wucherern in die Hände; zwei davon nahmen mir, was ich ihnen schuldig war, und ließen mich laufen, als sie nichts mehr zu fordern hatten; der dritte dagegen läßt nicht von mir." Da wollten sie die Namen der Wucherer wissen, um sie zufrieden zu stellen. Deshalb fragten sie: "Wo sind sie? Wie heißen sie? Wer ist dein Dränger? Zeig' ihn uns und wir wollen dir helfen." Da sprach er zu ihnen: "Von Jugend auf plagten mich Geiz, Gefräßigkeit und Unzucht; zweie hab' ich losgebracht; die machen mir nicht mehr zu schaffen, aber die Gefräßigkeit loszubringen ist mir unmöglich. Denn es ist der vierte Tag, daß ich nichts mehr gegessen habe, doch der Magen läßt mir keine Ruhe, sondern will, was er gewöhnt ist und nötig hat, wenn ich lebendig bleiben soll." Da schöpften einige Philosophen Verdacht, das Ganze sei nur ein Possenspiel, und gaben ihm Geld. Er nahm es, ging sogleich in einen Brotladen, kaufte sich ein Brot, entfernte sich ohne Zögern aus der Stadt und kehrte nie mehr zurück. Nun erkannten die Philosophen, daß er wirklich ein tugendhafter Mann war; S. 396 deshalb erlegten sie dem Brotverkäufer den Preis des Brotes und ließen sich das Geldstück geben.
Sarapion aber kam in die Gegend um Lakedämon. Dort vernahm er, einer von den angesehensten Bürgern jener Stadt, sonst ein tugendhafter Mann, sei mit seinem ganzen Hause dem Manichäismus ergeben. Er verkaufte sich wieder an diesen, wie er schon früher tat. Bevor zwei Jahre vorüber waren, gelang es ihm, den Mann von der Häresie zu bekehren und auch dessen Gattin5 der Kirche zu gewinnen. Da hielten ihn beide nicht mehr wie einen Sklaven, sondern wie einen vollbürtigen Bruder, ja wie den eigenen Vater, und priesen Gott.
Einst bestieg er ein Schiff, als ob er nötig hätte, nach Rom zu reisen. Die Schiffsleute waren im guten Glauben, er habe die nötige Nahrung eingeladen oder besitze das Geld, sie zu bestreiten, und nahmen ihn deshalb ohne Bedenken mit, weil jeder meinte, der andere habe sein Gepäck in Empfang genommen. Sie fuhren ab und hatten um Sonnenuntergang Alexandrien fünfhundert Meilen hinter sich. Da nahm die Mannschaft ihr Abendessen und die Mitreisenden folgten ihrem Beispiel. Sie sahen, daß er am ersten Tage nichts aß und dachten, es sei wegen der Seekrankheit,6 doch hielt er es am zweiten, dritten und vierten Tage nicht anders. Sie sahen ihn auch am fünften Tage so dasitzen, während die anderen aßen, und fragten ihn endlich: "Warum issest du nicht, Mann?" Er sagte: "Weil ich nichts S. 397 habe." Sie forschten einander aus: "Wer hat sein Gepäck in Empfang genommen oder wem hat er den Betrag entrichtet?" Nun ergab sich, daß keiner etwas erhalten hatte; da zankten sie mit ihm und sagten: "Wie kannst du dich unterstehen das Schiff zu besteigen, ohne zu bezahlen? Womit willst du den Fahrlohn entrichten? Und wovon willst du dich nähren?" Er gab zur Antwort: "Ich habe kein Geld. Bringet mich zurück und setzet mich an's Land, wo ihr mich gefunden habt!" Aber sie hätten ihn wohl nicht um hundert Goldstücke zurückgebracht, sondern fuhren viel lieber dem Ziele zu. So war denn Sarapion auf dem Schiff und man gab ihm zu essen bis nach Rom.
Als er nach Rom kam, hielt er eifrig Umfrage nach asketischen Männern und Frauen der Stadt. Dabei traf er mit einem Schüler des Origenes, Domninus,7 zusammen, dessen Bett nach seinem Tode Kranke heilte; weil dieser ausgezeichnet war in Wandel und Erkenntnis, zog er Nutzen aus seinem Umgang und erfuhr auch von ihm die Namen asketischer Leute beiderlei Geschlechtes, zum Beispiel einer Jungfrau, die ganz zurückgezogen lebte und niemand Zutritt gewährte. Sobald er ihre Wohnung wußte, ging er hin und sprach zu ihrer alten Magd: "Sag' der Jungfrau, ich muß unbedingt mit ihr sprechen, denn Gott hat mich gesendet." Nachdem er zwei bis drei Tage lang gewartet hatte, bekam er Zutritt und sagte zu ihr: "Warum sitzest du?" Sie gab zur Antwort: "Ich sitze nicht, sondern gehe." Da sprach er: "Wohin gehst du?" Sie sagte: "Zu Gott." Er sagte: "Bist du lebendig oder tot?" Sie sprach: "Ich hoffe zu Gott, daß ich tot bin, denn wer dem Fleische nach lebt, kann unmöglich gehen." Er sagte: "Dann beweise mir, daß du tot bist, indem du tust, was ich tue." Sie sagte: "Gebiete mir Dinge, die möglich sind, so will ich sie tun." Er sagte: "Dem Toten ist alles möglich außer Gottlosigkeit." Dann sprach er: "Verlaß dein Haus und geh' umher!" Sie gab zur Antwort: "Fünfundzwanzig Jahre schon bin ich nie mehr ausgegangen. Warum soll ich es jetzt tun?" Er sagte: "Wenn du der Welt tot bist S. 398 und dir die Welt,8 dann gilt es gleich, ob ausgehen oder nicht ausgehen. Darum geh' aus!" So ging sie denn aus und kam an eine Kirche und in der Kirche sprach er zu ihr: "Wenn du mir also beweisen willst, daß du tot bist und nicht mehr Menschen zu Gefallen lebest,9 so tu', was ich tue, damit ich erkenne, daß du tot bist! Zieh' gleich mir alle deine Kleider aus, nimm sie auf die Schulter und folge mir mitten durch die Stadt." Sie sprach: "An solcher Schamlosigkeit würden die Leute doch Ärgernis nehmen und mit vollem Rechte sagen: die ist wahnsinnig und besessen." Er gab zur Antwort: "Und dir liegt etwas daran, wenn sie sagen: die ist wahnsinnig und besessen? Du bist ja tot für sie." Da sagte sie "Wenn du etwas anderes wünschest, will ich es tun; denn ich kann mich keineswegs rühmen, soweit vorangeschritten zu sein." Er sagte: "Siehe, nun laß von deinem Wahne, du seiest frommer denn alle und seiest der Welt am meisten tot! Ich bin ja töter10 als du und zeige durch die Tat, daß ich der Welt gestorben bin; denn ich tue das frei von Empfindung und Scham".11
So brach er ihren Hochmut, machte sie demütig und ging davon.
Er hat außerdem noch vieles Wunderbare getan, um sich freizumachen von jeder Empfindung. Er starb im sechzigsten Jahre seines Lebens zu Rom12 und wurde dort begraben.
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Nach anderen Handschriften soll er beides nicht verstanden haben und trotzdem solche Schriftkenntnis besessen haben. Hier ist er (xxx), dort (xxx). ↩
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Das Zusammenleben asketischer Männer und Jungfrauen war damals nicht selten, wurde später durch eine Synode untersagt. ↩
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Ein Schauspieler konnte nicht eher in die Kirche aufgenommen werden, als bis er sein Gewerbe verlassen hatte. So bestimmen schon die Synoden von Elvira ( um 300) und Arles (314), im Orient die apostolischen Konstitutionen (VIII,32). Im gleichen Sinne hatte schon der hl. Cyprian (ep. 2) die Frage behandelt. ↩
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(xxx), vgl. 2Kor 1,22; 5,5; Eph 1,14. ↩
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(xxx1). Das Wort (xxx1) ist nicht etwa gleichbedeutend mit (xxx2) = die Freigelassene. Eine Textvariante findet sich nirgend zu dieser Stelle. Der Ausdruck bezeichnet also nicht ein Zusammenleben mit einer Freigelassenen, sondern ist von der rechtmäßigen Gattin gebraucht wie bei mehreren Kirchenvätern des nämlichen Zeitalters (Athanasius, Basilius, Gregor von Nazianz). Ebenso angewandt ist er auch in der nahezu gleichzeitigen Vita s. Melaniae des Gerontius, wo die Heilige selber neben dem Gatten so genannt wird. Wenn bei Palladius selber (Kap. 54) von den Senatoren und ihren (xxx1) die Rede ist - Melania tritt ihnen entgegen - so können nicht lauter zweifelhafte Verhältnisse gemeint sein. ↩
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Im Urtext sehr euphemistisch: (xxx) wegen der Fahrt. ↩
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Auch Domnion und Dominion. ↩
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Vgl. Gal 6,14. ↩
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Vgl. Gal 1,10. ↩
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(xxx) ↩
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Ohne Zweifel hat man vollkommen recht, wenn man diesen Sonderling als kynischen Wandermönch bezeichnet. Gewiß könnte Sarapion ein Schüler des Diogenes sein. Wir sehen hier die krankhaften Auswüchse jener edlen Anschauung, das Mönchtum sei wahres (xxx), echte praktische Philosophie ganz im Gegensatz zur grauen Theorie der großen heidnischen Denker. ↩
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Statt (xxx) gibt es eine Lesart: (xxx) - dort in der Wüste. Das Museum Guimet zu Paris bewahrt die Gebeine eines Mönchs Sarapion, die man bei Antinoe fand. Ob es sich um die Leiches dieses Sarapion handelt, kann nicht entscheiden werden. (Annales du Musee Guimet, XXX, 39 f; 51 ff. ↩