35. Johannes von Lykopolis.
Zu Lykopolis1 war ein gewisser Johannes, seines Zeichens ein Bauhandwerker; dieser hatte einen Bruder, der Färber war. Im Alter von etwa fünfundzwanzig Jahren verließ Johannes die Welt und weilte zunächst fünf Jahre lang in verschiedenen Klöstern, begab sich dann allein auf den Berg Lykos, baute sich auf dem Gipfel ein Haus mit drei Räumen und mauerte sich selber ein. Der eine von diesen Räumen war für die Bedürfnisse des Leibes bestimmt, der zweite zum Arbeiten und Essen, der dritte zum Beten. Die notwendige Nahrung ließ er sich von einem Diener durch das Fenster reichen. Nachdem er eingeschlossen dreißig Jahre zugebracht hatte, ward ihm die Gabe der Weissagung verliehen. So ließ er dem seligen Kaiser Theodosius mancherlei mitteilen über seine Zukunft, daß er als Besieger des Tyrannen Maximus aus Gallien zurückkehren werde; desgleichen gab er ihm gute Botschaft in betreffend S. 388 des Usurpators Eugenius.2 Der Ruf seiner Tugend drang weit umher.
Als wir in der nitrischen Wüste waren - ich und die Schüler des seligen Euagrius - suchten wir Genaueres über den frommen Wandel des Mannes in Erfahrung zu bringen. Der selige Euagrius sprach: "Ich hätte gerne von einem, der imstande wäre, Sinn und Redeweise zu prüfen, Bescheid über seinen Charakter. Ich selber kann ja nicht hinreisen ihn zu besuchen; wenn mir jemand eingehend berichten könnte von seiner Lebensart, so würde mir das genügen." Ich sagte daraufhin zu niemand eine Silbe, sondern überlegte ruhig einen Tag hindurch; am nächsten schloß ich meine Zelle, befahl mich Gott und wanderte nach der Thebais. Ich legte den Weg teils zu Fuße zurück, teils zu Schiff auf dem Strome; so kam ich in achtzehn Tagen an das Ziel. Es war die Zeit der Überschwemmung, wo viele von Krankheiten befallen werden; mir ging es ebenso. Bei Johannes angekommen fand ich den Eingang verschlossen. Die Brüder hatten nämlich eine große Vorhalle gebaut, die an hundert Menschen zu fassen vermag. Diese sperrten sie stets mit dem Schlüssel ab und öffneten am Sabbat und Sonntag. Als ich vernommen hatte, weshalb er eingeschlossen war, blieb ich in Ruhe wartend bis zum Sabbat. Als ich dann zur zweiten Stunde mich einfand, traf ich ihn bei Besuchern am Fenster stehend, durch das er den Leuten zusprach. Er grüßte mich und ließ mich durch den Dolmetsch fragen: "Woher bist du und was führt dich zu mir? Ich vermute nämlich, du seiest aus der Genossenschaft des Euagrius." Ich gab zur Antwort: "Ein Fremdling aus Galatien bin ich, der allerdings zu den Gefährten des Euagrius zählt." Während wir uns unterhielten, kam Alypius, der Statthalter des Landes. Nun brach Johannes das Gespräch ab und wandte sich unverzüglich jenem zu, S. 389 weshalb ich beiseite trat um Platz zu machen. Weil sie lange Zeit sich unterredeten, ward ich ungeduldig und murrte bei mir selbst über den ehrwürdigen Greis, weil er den anderen ehre, mich dagegen verächtlich behandle. So war ich verstimmt, dachte geringschätzig von ihm und hatte schon die Absicht fortzugehen. Da rief er den Dolmetsch - Theodor ist sein Name - und gab ihm den Auftrag: "Geh' hin und sag' jenem Bruder: Sei nicht unwillig! Ich entlasse den Statthalter sogleich und rede dann wieder mit dir." Ich merkte nun, daß er ein Mann des Geistes und es für mich das beste sei, geduldig zu warten. Sobald der Statthalter sich entfernte, rief er mich und sagte: "Wie konntest du Ärgernis nehmen, so daß du von mir ungerecht und unziemlich dachtest? Oder weißt du nicht, daß geschrieben steht: 'Nicht die Gesunden bedürfen des Arztes, sondern die Kranken?'3. Dich kann ich sprechen, sobald ich will; desgleichen du mich. Und wenn ich selber dir keinen Zuspruch erteile, werden es andere Brüder und Väter besorgen. Jener dagegen ist inmitten der weltlichen Geschäfte stets dem Teufel ausgesetzt und kam nur in einer freien Stunde, wie ein Sklave seinem Gebieter entwischt, um seiner Seele zu nützen. Da wär' es töricht gewesen, ihn stehen zu lassen und dir mich zu widmen; du hast ja fortwährend Muße, für dein Heil zu sorgen." Da wurde mir klar, welchen Geistesmann ich vor mir hatte, und ich empfahl mich in sein Gebet. Scherzend schlug er mich mit der rechten Hand auf die linke Wange und sagte: "Viele Trübsale werden noch über dich kommen und es hat dich schon harte Kämpfe gekostet, in der Einsamkeit auszuharren. Nur weil du zu mutlos warest, einen Entschluß zu fassen, hast du stets wieder zugewartet. Auffallend fromm und vernünftig scheinende Gründe gibt der Teufel dir ein. Er hat in deinem Herzen die Sehnsucht nach dem Vater angefacht sowie das Verlangen, Bruder und Schwester für das Klosterleben zu gewinnen. Gib acht, welch' gute Botschaft ich habe für dich! Beide sind schon gerettet, denn sie haben bereits der Welt entsagt und dein Vater wird S. 390 noch eine Reihe von Jahren am Leben sein. So halte nun aus in der Wüste! Geh' nicht um jener willen hinweg in dein Vaterland; denn es steht geschrieben: 'Niemand, der die Hand an den Pflug legt und zurückschaut, ist tauglich zum Himmelreiche'."4 Ich dankte Gott, daß mich diese Worte so sehr im Guten bestärkten und mir jeglichen Vorwand benahmen.
Da sagte Johannes wiederum scherzend: "Möchtest du Bischof werden?" Ich sagte: "Das bin ich schon." Er fragte mich: "Wo?" Ich gab ihm zur Antwort: "In der Küche, im Weinkeller, bei Tisch und bei den Töpfen; da bin ich überall Bischof.5 Sobald ich saueren Wein entdecke, stelle ich ihn beiseite und trinke den guten; ebenso bin ich Bischof über die Schüsseln; sobald ich Salz oder sonstiges Gewürz vermisse, würze ich und esse dann erst. Das ist meine bischöfliche Würde; dazu hat mich mein nimmersatter Magen geweiht." Lächelnd sagte Johannes: "Laß den Spaß beiseite! Du wirst in Wahrheit Bischof werden und viele Mühe und Drangsale zu leiden haben; willst du dem allen entgehen, so bleib' in der Wüste! Da kann dich niemand zum Bischof machen."
Ich nahm Abschied, begab mich an den gewohnten Aufenthalt und erzählte den seligen Vätern mein Erlebnis. Diese bestiegen zwei Monate später ein Schiff und begaben sich zu Johannes. Ich aber gedachte seiner Rede nicht mehr. Nach drei Jahren nämlich ward ich milz- und magenleidend; da sandten mich die Brüder nach Alexandrien, weil es schien, als ob ich die Wassersucht bekäme. Ich reiste von Alexandrien auf ärztlichen Rat des Klimas wegen nach Palästina, weil es milde Luft hat, die man eben für meine Gesundheit zuträglich hielt. Von Palästina ging ich nach Bithynien und wurde hier - ich weiß nicht, wie es sich zutrug, ob durch menschlichen Einfluß oder göttlichen Willen, Gott mag es wissen - erhoben zur bischöflichen Würde. So ging in Erfüllung, was Johannes mir vorausgesagt hatte. Ich S. 391 mußte seiner Prophezeiung gedenken, als ich elf Monate lang in finsterem Verließe lag.6
Um mich zu geduldigem Ausharren in der Einsamkeit zu bewegen, sagte mir Johannes auch: "Schon achtundvierzig Jahre bin ich in dieser Zelle und erblickte niemals ein Frauenantlitz, auch kein Geldstück, noch sah ich jemand essen, ebenso sah mich selber niemand essen oder trinken."
Die Dienerin Gottes Poimenia kam eigens, um ihn zu besuchen; Johannes aber empfing sie nicht, ließ ihr aber Mitteilung machen über ein künftiges Ereignis. Er gebot ihr nämlich, auf der Rückreise von der Thebais Alexandrien nicht zu berühren; widrigenfalls werde sie von Unheil betroffen. Sei es nun, daß sie die Warnung vergaß oder nicht daran glaubte, kurz, Poimenia machte gleichwohl einen Abstecher nach Alexandrien, um diese Stadt zu besuchen. Nahe der Stadt Nikopolis7 landete man, um Rast zu machen. Die Ruderknechte stiegen aus, benahmen sich aber unvorsichtig und gerieten mit den Eingeborenen in Streit. Diese waren verwegene Menschen; einem der Diener schlugen sie einen Finger ab, einen anderen töteten sie und warfen den hochheiligen Bischof Dionysius, den sie allerdings nicht kannten, in den Fluß, Poimenia selbst wurde beschimpft und durch Drohungen in Angst versetzt; die anderen Knechte wurden alle verwundet.
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Heute Siut (Oberägypten). ↩
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Augustinus (de civ. Dei V,26) erwähnt, daß Theodosius zweimal zu Johannes sandte, "gänzlich zuverlässige Nachricht" (nuntium victoriae certissimum) über die Zukunft bekam, und daraufhin voll Zuversicht in den Kampf zog. In der Literatur jener Zeit ist öfter die Rede von dieser Weissagung. Der durchaus antichristliche Geschichtsschreiber Gibbon hält sie für Tatsache. ↩
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Lk 5,31. ↩
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Lk 9,62. ↩
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Das griechische Wort bedeutet "Aufseher" (über die Christengemeinde); darum hier zum Wortspiele tauglich. ↩
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Es muß sich hier wohl um Kerkerhaft zur Zeit der Chrysostomuswirren handeln. ↩
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Heute Menuf im Nildelta. ↩