61. Die jüngere Melania.
S. 428 Weil ich oben das Versprechen gab, von der jüngeren Melania zu berichten, muß ich mein Wort einlösen. Es wäre wahrhaftig ein Unrecht, ließe man wegen ihres geringen Alters dem Fleische nach so herrliches Beispiel der Vergessenheit anheimfallen, übertrifft sie doch ältere tugendhafte Frauen um vieles.
Von den Eltern, die zu den angesehensten Familien Roms gehörten,1 wurde sie zur Heirat gezwungen. Was sie jedoch beständig über die eigene Großmutter2 sagen hörte, war ein so mächtiger Antrieb, daß sie am ehelichen Leben kein Gefallen fand. Nachdem sie zwei Kinder geboren hatte, die beide bald starben, empfand sie solchen Widerwillen vor dem ehelichen Umgang, daß sie zu ihrem Gatten Pinian, dem Sohne des Prokonsuls Severus, sagte: "Ich will dich als Gebieter und Herrn über mein Leben anerkennen, wenn du mit mir ein asketisches Leben in Enthaltsamkeit führen willst; dünkt es dir aber zu schwer ob deiner Jugend, so nimm mein ganzes Vermögen, nur laß mich in Zukunft unberührt, damit ich mein Verlangen nach Gott stillen kann; denn von der Großmutter, deren Namen ich trage, hab' ich den Eifer als Erbstück erhalten. Wenn es Gottes Wille wäre, daß wir Nachkommen zeugen, dann hätte er meine Kinder nicht so frühzeitig weggenommen." Nachdem sie lange Zeit uneinig gewesen waren, erbarmte sich Gott des jungen Mannes und gab auch ihm das Verlangen nach Weltentsagung, so daß sich an beiden erfüllte, was geschrieben steht: "Wie willst du wissen, Weib, ob du (nicht) deinen Mann retten wirst?"3 Mit dreizehn Jahren hatte man sie vermählt, sieben lebte sie mit dem Gatten zusammen und im zwanzigsten entsagte sie der Welt.4 Vor allem gab sie die seidenen S. 429 Gewänder hin zum Schmuck der Altäre; ebenso tat auch die heilige Olympias. Die anderen Seidenstoffe zerschnitt sie und machte verschiedenartige kirchliche Gewänder daraus. Das Gold und Silber vertraute sie dem Priester Paulus an, der Mönch in Dalmatien war, und ließ es über das Meer nach dem Morgenlande schicken: nach Ägypten und in die Thebais zehntausend Goldstücke,5 nach Antiochien und dessen Umgebung zehntausend Goldstücke, nach Palästina fünfzehntausend Goldstücke, den Kirchen auf den Inseln und denen in der Verbannung zehntausend, den Kirchen gen Untergang gab sie selber ebensoviel. Dies alles und dazu noch viermal soviel entriß sie mit Gottes Hilfe kraft ihres Glaubens dem "Rachen des Löwen"6 Alarich. Achttausend Sklaven ließ sie mit deren Zustimmung frei; denn die anderen wollten nicht, sondern zogen es vor, ihrem Vetter7 als Sklaven zu dienen; ihm überließ sie alle und gab jedem drei Goldstücke. Ihre Besitzungen in Spanien, Aquitanien, Tarrakonien und Gallien verkaufte sie, nur die anderen in Sizilien, Kampanien und Afrika behielt sie für sich, um den Unterhalt von Klöstern zu bestreiten. So weise schaltete sie mit der Last ihres Reichtums. Leiblicher Abtötung oblag sie folgendermaßen: Sie aß nur jeden zweiten Tag - anfangs ließ sie sogar fünf Tage vorübergehen - und tat die tägliche Arbeit mit den eigenen Mägden, denen sie zugleich Anleitung gab zum asketischen Leben.
Sie hat auch ihre Mutter Albina bei sich, die gleichfalls ein asketisches Leben führt und ihren Reichtum S. 430 hingibt. Sie wohnen jetzt auf dem Lande, bald in Sizilien, bald in Kampanien, mit fünfzehn enthaltsamen Männern, sechzig Jungfrauen, mit Freigelassenen und Mägden. Ebenso führt ihr Gatte Pinian mit dreißig Mönchen einen ehrwürdigen Wandel und ist mit frommer Lesung und Gartenbau beschäftigt. Sie haben uns, da wir in Sachen des seligen Bischofs Johannes nach Rom gingen, ehrenvoll aufgenommen, gastfreundlich gepflegt und mit reichem Vorrat für die Weiterreise versehen. Zum Lohne für die gottgefälligen Taten erwarten sie mit großer Freude das ewige Leben.8
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Die Heilige war aus der Gens Valeria. ↩
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Über den Besuch der älteren hl. Melania (wahrsch. im J. 402) s. Kap. 54. ↩
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1Kor 7,16. ↩
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Hier hätte von Rechtswegen der oben Kap. 54 bei der älteren Melania erwähnte Kampf gegen den Senat seine Stelle. AUsführlich erzählt davon und vom WIderstande der Verwandten sowie der SKlaven und des Volkes die Vita S. Melaniae. Vgl. auch die prächtige Monographie Sainte Melanie von Goyau (3. Aufl Paris 1908). ↩
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Ein solches Goldstück berechnet man nach dem heutigen Goldwerte zu 15,42 Fr. Demnach sandte die Heilige schon an die erste Adresse123 360 M. Über ihren ungeheuren Reichtum s. Rampolla p. 180 ff.; Goyau p. 12 ff.; Laacher Stimmen, Bd. 71, S. 411 ff. ↩
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Vgl. 2Tim 4,17. ↩
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(xxx). Severus war der Bruder ihres Gatten. DIe Heilige war mit den beiden blutsverwandt im vierten Grade; das Wort (xxx), Bruder bezeichnet im Griech. auch den Vetter wie auch im Sprachgebrauche des A. u. N. Testamentes. ↩
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Palladius, der 405 die Heiligen kennenlernte, starb eher als Melania. Sie ging mit ihrem Gatten auf längere Zeit nach Afrika, dann nach Palästina und starb zu Jerusalem in einem der von ihr gestifteten Klöster am 31. Dezember 439. ↩