60. Kolluthus.1
Eine andere wohnte nicht weit von mir, doch hab' ich niemals ihr Antlitz gesehen, denn sie ging, wie man erzählte, niemals aus, seit sie der Welt entsagte. Nachdem sie sechzig Jahre mit der eigenen Mutter in Abtötung gelebt, sollte sie diese Welt verlassen. Es erschien ihr der Märtyrer Kolluthus, der an jenem Orte Verehrung genoß, und sprach: "Heute sollst du zum Herrn gehen und alle Heiligen schauen; komm' also zum Mahle mit uns in die Kirche!" Sie stand auf am frühen Morgen, kleidete sich an, legte Brot, Oliven und etwas Kräuter in den Korb, verließ zum ersten Male nach soviel Jahren das Haus, ging in das Heiligtum des Märtyrers und betete. Sie blieb den ganzen Tag, ohne daß jemand hineinkam, setzte sich und flehte zu dem Märtyrer: "Segne meine Speisen, heiliger Kolluthus, und begleite mich auf meinem Wege mit deiner Fürsprache!" Nachdem sie gegessen hatte, betete sie wieder und begab sich nach Hause bei Sonnenuntergang. Hier überreichte sie der Mutter eine Schrift des Klemens, der die "Teppiche"2 geschrieben; es war ein Kommentar zum Propheten Amos. "Gib das", sprach sie, "dem verbannten Bischof,3 und sag' ihm, er solle für mich beten, denn ich gehe fort." Sie sorgte für das eigene Begräbnis und starb noch in derselben Nacht, ohne Fieber oder Kopfschmerz empfunden zu haben.
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K., Priester und Arzt, erlitt den Martertod unter Diokletian zu Hermopolis bei Antinoe; die zweitgenannte Stadt verehrte diesen Heiligen als Patron. ↩
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Klemens von ALexandrien, Haupt der berühmten Katechetenschule daselbst (etwa 200-216). Die Teppiche((xxx)) sollen, wie der volle titel angibt, "wissenschaftliche Kommentare über die wahre Philosophie" (=Christentum) bilden. ↩
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Jedenfalls Palladius selbst, wie die ersten Zeilen wohl andeuten. ↩