2.
Und was wäre, wenn sich aus jener Rede Jesu, in der er sagte (cf. Mt. 5,17), man solle nicht denken, er sei gekommen, das Gesetz aufzuheben, sogar herauslesen liesse, dass er es tatsächlich aufgehoben hat? Hätte er nämlich nichts in dieser Richtung getan, hätten die Juden diesen Verdacht gar nicht haben können. Aber er sagte nun einmal (Mt. 5,17): Denkt nicht, ich sei gekommen, das Gesetz aufzuheben! Das würden wir ja gern glauben, wenn die Juden nun zu ihm gesagt hätten: Was tust du denn in dieser Richtung, sodass wir das vermuten könnten? Liegt es daran, dass du dich über die Beschneidung lustig machst, dass du den Sabbat schändest, dass du die Opfer ablehnst, dass du den Unterschied bei den Speisen verwischst? Und da sagst du noch: ‛Denkt nicht, dass…!’? Und: Was könnte sonst getan werden, was das Gesetz und die Propheten noch gründlicher und offensichtlicher zerstören würde? Oder: Wenn all dies ‘Vollendung des Gesetzes’ bedeutet, was heisst dann ‘Auflösung des Gesetzes’?
Was aber ist, wenn Gesetz und Propheten über diese ‛Vollendung’ gar nicht erfreut sind, da sie sich ja bereits für vollständig und vollendet halten? Ihr Urheber und Vater ist ja genau so entrüstet, wenn ihnen etwas hinzugefügt, wie wenn ihnen etwas weggenommen wird, sodass er im Deuteronomium schreibt: Diese Gebote, die ich dir heute übergebe, Israel, sollst du beobachten (cf. Deut. 13,1); und du sollst von ihnen weder nach links, noch nach rechts abweichen (cf. Ib. 5,32); du sollst ihnen nichts hinzufügen und auch nichts wegnehmen (ib. 13,1), sondern in ihnen verharren, damit dich der Herr, dein Gott segne! Somit zeigt sich, dass Jesus, wenn er dem Gesetz und den Propheten etwas hinzufügte, um sie zu vollenden, nach rechts abgewichen ist, wenn er etwas weggenommen hat, um sie zu zerstören, nach links; beides aber erregt beim Urheber des Gesetzes zweifellos Anstoss, und daher muss jener Satz (Mt. 5,17) etwas anderes bedeuten, oder aber er ist gefälscht!
