6.
Im weitern versteht Faustus auch nicht – oder gibt vielleicht vor, nicht zu verstehen –, was das besagt, das Gesetz zu vollenden. Denn er glaubt, damit sei eine textliche Erweiterung gemeint, da ja geschrieben steht (deut. 13,1), dass der Schrift Gottes nichts hinzugefügt oder weggenommen werden dürfe; und er sagt deshalb (cf. 484,13), dass etwas, was uns als so vollkommen anempfohlen wird, dass weder etwas hinzuzufügen, noch wegzunehmen ist, gar nicht hätte ergänzt werden dürfen. Die Manichäer wissen also gar nicht, in welchem Sinn jemand das Gesetz vollendet, der so lebt, wie das Gesetz es vorgeschrieben hat. Denn die Erfüllung des Gesetzes ist die Liebe, wie der Apostel sagt (Rm. 13,10). Diese Liebe geruhte der Herr uns vorzuzeigen und zu schenken, indem er seinen Gläubigen den Heiligen Geist sandte. Daher sagt derselbe Apostel auch noch (Rm. 5,5): Die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist. Und der Herr selber sagt (Joh. 13,35):
Daran werden alle erkennen, dass ihr meine Jünger seid, wenn ihr einander liebt. Vollendet wird also das Gesetz, indem entweder das befolgt wird, was darin vorgeschrieben ist, oder indem in Erfüllung geht, was darin prophezeit wurde. Denn das Gesetz wurde durch Moses gegeben, die Gnade aber und die Wahrheit ist durch Christus gekommen (Joh. 1,17). Das Gesetz selber ist also in seiner Vollendung zur Gnade und zur Wahrheit geworden. Gnade hat Bezug zur Fülle der Liebe, Wahrheit zur Erfüllung der Prophetien. Und da beides durch Christus verwirklicht wird, deshalb ist er nicht gekommen, um das Gesetz oder die Propheten aufzuheben, sondern sie zu vollenden (Mt. 5,17), nicht um dem Gesetz zuzufügen, was ihm vorher fehlte, sondern um das zu verwirklichen, was darin geschrieben war. Das bezeugen seine eigenen Worte. Denn er sagte nicht (cf. Mt. 5,18): Nicht ein Iota oder ein Pünktchen des Gesetzes wird vergehen, bis hinzugefügt ist, was noch fehlt, sondern bis alles Wirklichkeit wird.
