1.
Faustus sagte: Warum lehnt ihr das Gesetz und die Propheten ab, wo Christus doch gesagt hat, er sei nicht gekommen, diese aufzuheben, sondern sie zu vollenden (cf. Mt. 5,17)? Wer bezeugt denn, dass Christus dies gesagt hat? Matthaeus! Wo soll er das gesagt haben? Auf dem Berg. Wer war dabei? Petrus, Andreas, Jakob und Johannes (cf. Mt. 4,18 ff.). Nur diese vier Apostel? Die andern hatte er ja noch gar nicht auserwählt, auch Matthaeus selber war noch nicht dabei. Von diesen vieren hat ja einer, nämlich Johannes, ein Evangelium verfasst! So ist es! Kommt diese Szene darin vor? Nirgends! Wie kommt also Matthaeus dazu, etwas zu schildern, was Johannes, der doch auf dem Berg mit dabei war, nicht bezeugt, während er selber Jesus erst viel später nachfolgte, nachdem Jesus längst wieder vom Berg heruntergestiegen war (cf. Mt. 8,1)? Und genau dies ist der Hauptgrund für die Zweifel, ob Jesus so etwas tatsächlich gesagt hat, da ja der kompetente Zeuge schweigt, der inkompetente dagegen redet. So haben wir vorläufig die Möglichkeit offengelassen, dass Matthaeus uns hinters Licht geführt hat, bis uns auch noch der Nachweis gelingt, dass er es gar nicht selber war, der dies geschrieben hat, sondern irgend ein Unbekannter unter seinem Namen, worauf ja schon die auffällige Erzählweise in diesem Kapitel des Matthaeus hindeutet. Die Formulierung lautet nämlich so (Mt. 9,9): Und als Jesus vorüberging, sah er einen Mann namens Matthaeus am Zoll sitzen, und er rief ihn zu sich; jener aber erhob sich sogleich und folgte ihm. Wer aber würde, wenn er über sich selber schreibt, sagen: Er sah einen Mann und rief ihn zu sich, und dieser folgte ihm, und nicht vielmehr: Er sah mich und rief mich zu sich und ich folgte ihm.? Das lässt sich doch nur so erklären, dass es offensichtlich nicht Matthaeus war, der diese Szene beschrieb, sondern irgendjemand anders unter seinem Namen. Da die Darstellung also nicht einmal dann authentisch wäre, wenn Matthaeus selber der Autor wäre, der ja nicht anwesend war, als Jesus auf dem Berg diese Worte sprach, wie viel weniger noch wird man ihr Glauben schenken dürfen, wenn Matthaeus gar nicht der Verfasser des Textes war, sondern jemand anders, der sich hinter den Namen Jesus und Matthaeus verbarg.
