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Wie viele erfüllen doch in unserer Gemeinschaft jene höheren Gebote des Evangeliums, mit deren Trugbild ihr Unerfahrene täuscht! Wie viele Menschen beiderlei Geschlechts sind rein und unberührt von jeder geschlechtlichen Erfahrung, wie viele haben Erfahrungen gesammelt und sind später enthaltsam geworden, wie viele haben ihre Besitztümer verteilt und sie aufgegeben, wie viele haben ihren Körper durch häufig wiederholte oder täglich befolgte oder sogar über unglaublich lange Zeit ausgedehnte Fastenübungen gefügig gemacht! Wie viele Bruderschaften kennen keinen persönlichen, sondern nur gemeinsamen Besitz, und auch da nur das, was für Nahrung und Kleidung erforderlich ist, und sind zu einem Herzen und einer Seele für Gott (cf. Apg. 4,32) verschmolzen durch das Feuer der Liebe! Doch wie viele Betrüger und Schufte findet man in all diesen Lebensformen, wie viele sind noch nicht entlarvt, wie viele nehmen zuerst den richtigen Weg, ändern dann ihre Zielrichtung völlig und sind in kurzem am Abgrund! Wie viele werden von Versuchungen heimgesucht, weil sie ihren Lebensweg gegen ihre innere Einstellung unter vorgetäuschten Motiven eingeschlagen haben, und wie viele halten demütig und treu an ihrem gottgefälligen Lebensplan fest, harren bis zum Ende aus und werden gerettet! In ihrer Gemeinschaft erscheinen jene Menschen, die aus irgend einer Bedrängnis heraus gemäss der Mahnung des Apostels (cf. I Kor. 7,29) Ehefrauen haben als hätten sie keine, kaufen als behielten sie nichts, mit dieserWelt verkehrten als verkehrten sie nicht mit ihr, äusserlich gesehen als Fremdkörper, sie sind aber in der gleichen Liebe mit ihnen vereinigt. Diesen schliessen sich gemäss dem überströmendenden Reichtum der Barmherzigkeit Gottes weiter jene an, denen gesagt wird (I Kor. 7,5f.): Verweigert euch einander nicht, es sei denn nach Übereinkunft auf Zeit, damit ihr euch dem Gebet widmet, dann seid wieder zusammen, nicht dass der Satan euch versuche wegen eurem Mangel an Selbstbeherrschung; dies sage ich euch aber als Zugeständnis, nicht als Befehl. Solchen Menschen sagt der selbe Apostel auch (I Kor. 6,7): Es ist ohnehin schon ein Versagen für euch, dass ihr Prozesse habt miteinander. Und auf ihre Schwäche hinweisend sagt er kurz nachher (I Kor. 6,4): Wenn ihr also alltägliche Rechtshändel habt, stellt doch die als Richter auf, die in der Gemeinde nichts gelten! Denn nicht nur denen, die, um vollkommen zu sein, ihr ganzes Eigentum verkaufen oder aufgeben, und dem Herrn nachfolgen, gehört das Himmelreich; dieser Armee Christi schliesst sich, im Sinne eines Gegengeschäfts der Liebe, eine Art ersatzsteuerpflichtige Menge an, zu der am Ende gesagt wird (Mt. 25,35 ff.): Ich war hungrig und ihr habt mir zu essen gegeben usw.
Sonst wären ja jene der Verdammnis geweiht, deren Hausgemeinschaft der Apostel mit so umsichtiger und anteilnehmender Fürsorge ordnet, indem er mahnt (cf. Kol. 3,18-22;4,1), dass die Frauen ihren Männern untertan seien, die Männer ihre Frauen lieben, dass die Kinder ihren Eltern gehorchen, die Eltern ihre Kinder aufziehen in der Ordnung und Zucht des Herrn, dass die Sklaven in Furcht denen gehorchen, die dem Fleisch nach ihre Herren sind, die Herren ihren Sklaven gewähren, was recht und gerecht ist. Doch Gott bewahre, dass der Apostel meint, diesen Menschen seien die Gebote des Evangeliums fremd und sie seien deshalb vom ewigen Leben auszuschliessen; denn an der Stelle, wo der Herr sagte (Mt. 10,38; Lk. 14,27): Wenn einer sein Kreuz nicht auf sich nimmt und mir nachfolgt, kann er mein Jünger nicht sein, womit er die Stärkeren zur Vollkommenheit ermunterte, hat er gleich anschliessend auch jene andern mit den Worten getröstet (Mt. 10,41): Wer einen Gerechten um seines Gerechtsein willen aufnimmt, wird den Lohn des Gerechten empfangen, und wer einen Propheten um seines Prophetseins willen aufnimmt, wird den Lohn des Propheten empfangen. Also wird nicht nur der, welcher dem Timotheus etwas Wein gibt wegen seines Magens und seiner häufigen Unpässlichkeiten (cf. I Tim. 5,23), sondern auch der, welcher einem ganz Gesunden und Starken einen Becher kalten Wassers darreicht, und zwar nur weil dieser ein Jünger ist, der wird seinen Lohn nicht verlieren, wie es an jener Stelle (Mt. 10,42) weiter heisst.
