2.
Ob nun allerdings Christus das wirklich gesagt hat, da sind es vor allem die voneinander abweichenden Darstellungen der Schriftsteller, welche bei uns Zweifel und Ungewissheit hervorrufen. Zwar berichten die beiden Evangelisten Matthaeus (cf. Mt. 8,5 ff.) und Lukas (cf. Lk. 7,2 ff.) übereinstimmend von einem Hauptmann, dessen Diener damals krank war, und über den, wie man annahm, Jesus das bekannte Wort ausgesprochen hat (cf. Mt. 8,10; Lk. 7,9), dass er einen so grossen Glauben in Israel noch nicht gefunden habe, wie er ihn bei >jenem Manne, obwohl er Nichtjude und Heide war, angetroffen habe, weil der Hauptmann nämlich gesagt hatte (Mt. 8,8; Lk. 7,6), er sei nicht würdig, dass Jesus sein Haus betrete, und er bitte nur darum, dass dieser ein Machtwort spreche und sein Diener sei gesund. Doch nur Matthaeus fügt hinzu, Jesus habe dann den Satz folgen lassen (Mt. 8,11 f.): Wahrlich ich sage euch, viele werden von Osten und Westen kommen und mit Abraham, Isaak und Jakob im Himmelreich zu Tische sitzen; die Kinder des Reiches aber werden sie in die Finsternis draussen hinauswerfen; dabei habe er mit der Wendung viele, die kommen werden auf die Nichtjuden hingewiesen, hier repräsentiert durch die Person des Hauptmanns, da dieser ja selber Heide war, in dem aber trotzdem ‛ein so grosser Glaube gefunden wurde’, die Juden aber, ‛bei denen kein solcher Glaube gefunden worden war’, Kinder des Reiches genannt. Lukas dagegen erwähnte Abraham, Isaak und Jakob an jener Stelle (Lk. 7,2 ff.) mit keinem Wort, obwohl auch er für notwendig hielt, dieses Ereignis als etwas Denkwürdiges in seinem Evangelium unter die Wundertaten Christi einzureihen. Falls aber jemand sagen sollte, Lukas habe den Zusatz deswegen ausgelassen, weil Matthaeus schon genug dazu gesagt habe, warum erwähnt er dann überhaupt die Wundertat selber, die Christus am Hauptmann und seinem Diener vollbracht hat, da doch der tüchtige Matthaeus sie uns ebenfalls schon ausführlich genug mitgeteilt hatte?
Nein, die Stelle ist gefälscht!
Was schliesslich die Bitte an Jesus, er möge kommen, betrifft, sagt einerseits Matthaeus, dieser Hauptmann sei persönlich zu Jesus gekommen, um Heilung zu erbitten (cf. Mt. 8,5); ganz anders Lukas, der sagt, dass er die Ältesten der Juden zu ihm geschickt habe (cf. Lk. 7,3), die es, aus der Befürchtung heraus, er könnte als Heide von Jesus abschlägig beschieden werden –für sie ist es ja unstrittig, dass Jesus Jude ist–, zuerst einmal mit Überzeugungskünsten versuchten, indem sie sagten, der Hauptmann verdiene es, dass seine Bitte erfüllt werde, da er ihr Volk liebe und für sie eine Synagoge habe bauen lassen, als ob sogar das für den Sohn Gottes von Belang wäre, wenn die Juden sich das Verdienst erworben haben, von einem Hauptmann, der Nichtjude ist, den Bau ihrer Synagoge finanziert zu bekommen. Und doch hat auch Lukas das fragliche Wort (Mt. 8,11) nicht gänzlich unterschlagen, ich denke, weil er sich überlegte, ob es nicht vielleicht doch wahr sein könnte; doch wechselt er den Ort der Handlung und passt es in einen ganz und gar andersgearteten Zusammenhang ein, nämlich dahin, wo Jesus zu seinen Jüngern sagt (Lk. 13,24 ff.): Bemüht euch durch die enge Türe einzutreten; denn viele werden kommen und einzutreten versuchen, und es wird ihnen nicht gelingen. Wenn dann aber der Herr eintreten und die Türe verschliessen wird, dann werdet ihr erst einmal da draussen stehen, an die Türe klopfen und rufen: Herr, öffne uns! Und er wird euch antworten: Ich kenne euch nicht. Dann werdet ihr erst einmal rufen: Wir haben doch mit dir zusammen gegessen und getrunken, und du hast uns auf unseren Plätzen und in unseren Synagogen gelehrt. Und er wird euch sagen: Ich weiss nicht, woher ihr seid; weichet alle von mir, die ihr Unrecht tut! Da wird Heulen und Zähneknirschen sein, wenn ihr seht, wie Abraham, Isaak und Jakob und alle Propheten ins Reich Gottes eintreten, ihr aber ausgestossen werdet. Und man wird kommen vom Osten und Westen, vom Süden und Norden, und im Reich Gottes zu Tische sitzen. Diesen Satz nun, dass viele vom Himmelreich ausgeschlossen werden, jene nämlich, die nur den Namen Christi tragen, nicht aber seine Werke tun, hat auch Matthaeus nicht unerwähnt gelassen (cf. Mt. 7,21), doch erwähnt er an der betreffenden Stelle Abraham, Isaak und Jakob mit keinem Wort. In gleicher Weise hat umgekehrt Lukas zwar über den Hauptmann und seinen Diener geschrieben (cf. Lk. 7,2 ff.), verliert aber umgekehrt an der betreffenden Stelle kein Wort über Abraham, Isaak und Jakob. Da somit überhaupt keine Sicherheit zu erlangen ist, wo das fragliche Wort (Mt. 8,11) gefallen ist, sollte uns nichts daran hindern, gar nicht daran zu glauben, dass es überhaupt gefallen ist.
