8.
Schauen wir uns also den Zusammenhang dieser Stelle näher an, wo sich der Satz befindet, den die Manichäer bemäkeln, damit das, was ich sagen will, klarer hervortritt!
Die Liebe Christi sagte der Apostel (II Kor. 5,14 ff.) hält uns zusammen, wenn wir das bedenken: wenn nämlich einer für alle gestorben ist, sind folglich alle gestorben; er ist aber für alle gestorben, damit die, die noch leben, nicht mehr für sich leben, sondern für den, der für sie starb und auferstanden ist. Also kennen wir von jetzt an keinen mehr dem Fleische nach; und wenn wir Christus je dem Fleische nach kannten, jetzt kennen wir ihn nicht mehr so.
Sicher wird damit bereits jedem klar, dass der Apostel dies wegen der Auferstehung Christi gesagt hat, da ja dem bemäkelten Satz folgendes Wort vorausging (II Kor. 5.15): Damit die, die noch leben, nicht mehr für sich leben, sondern für den, der für sie starb und auferstanden ist. Was heisst denn dass sie nicht für sich, sondern für ihn leben anderes als dass sie nicht dem Fleische nach leben in der Hoffnung auf irdische und vergängliche Güter, sondern dem Geiste nach in der Hoffnung auf die Auferstehung, die aus diesen Gütern heraus in Christus schon geschehen ist? Deshalb kannte der Apostel unter denen, für die Christus gestorben und auferstanden ist, und die nicht mehr für sich, sondern für jenen leben, keinen mehr dem Fleische nach, wegen ihrer Hoffnung auf die zukünftige Unsterblichkeit, in deren Erwartung sie lebten, und die in Christus schon nicht mehr Hoffnung, sondern bereits Wirklichkeit ist. Auch wenn er Christus, als dieser noch dem Tode unterworfen war, noch dem Fleische nach kannte, so kannte er ihn schon nicht mehr so, da er ja nun wusste, dass er auferstanden war und der Tod fortan keine Macht mehr über ihn haben würde. Und da wir ja nun alle in ihm sind – zwar noch nicht in der Wirklichkeit, so doch in der Hoffnung –, fährt der Apostel mit den Worten fort (II Kor. 5,17): Wenn also jemand in Christus ist, dann ist er eine neue Schöpfung; das Alte ist vergangen, seht, alles ist neu geworden; alles aber kommt von Gott, der uns mit sich versöhnt hat durch Christus. Alles was Neue Schöpfung ist, d.h. das im Glauben erneuerte Volk, besitzt also schon jetzt – damit es vorläufig bereits als Hoffnung besitzt, was erst später als Wirklichkeit eintreten wird – in der Person Christi, was es für sich selber erhofft. Daher ist jetzt das Alte, was seine Hoffnung betrifft, vergangen, da ja nun nicht mehr die Zeit des Alten Testaments ist, in dem von Gott ein zeitliches und fleischliches Reich erwartet wird, und alles ist neu geworden, ebenfalls was die Hoffnung betrifft, nämlich dass wir das versprochene Himmelreich in Besitz nehmen können, wo kein Tod und keine Vergänglichkeit sein wird. Bei der Auferstehung von den Toten aber wird dann einerseits das Alte vergangen sein, und zwar nicht mehr nur was seine Hoffnung, sondern auch was die Verwirklichung dieser Hoffnung betrifft, indem als letzter Feind der Tod zerstört sein wird (I Kor. 15,26), anderseits wird alles neu werden, indem dieses Vergängliche sich die Unvergänglichkeit anziehen wird, und dieses Sterbliche die Unsterblichkeit (I Kor. 15,53), was in Christus, den Paulus im Sinn einer schon eingetretenen Tatsache nun nicht mehr dem Fleische nach kannte, bereits geschehen ist. Von denen aber, für die Christus gestorben und auferstanden ist, kannte er, noch nicht im Sinne einer eingetretenen Tatsache, wohl aber im Sinne der Hoffnung darauf, keinen mehr dem Fleische nach, da wir ja durch seine Gnade, wie derselbe Apostel zu den Ephesern sagt (cf. Eph. 2,5), gerettet worden sind. Gerade letztere Stelle bestätigt ja diese Interpretation, indem sie folgendes sagt (Eph. 2,4f.): Gott aber, der reich ist an Erbarmen, hat uns in seiner grossen Liebe, mit der er uns liebte, da wir tot waren infolge unserer Sünden, lebendig gemacht zusammen mit Christus, durch dessen Gnade wir gerettet worden sind. Denn was der Apostel hier sagte (Eph. 2,5): Er hat uns lebendig gemacht zusammen mit Christus, das sagte er auch zu den Korinthern (II Kor. 5,15): Damit die Lebenden nicht mehr für sich selber leben, sondern für den, der für sie gestorben und auferstanden ist. Und wenn er hier sagt (Eph. 2,5): Durch dessen Gnade wir gerettet worden sind, so spricht er, als ob schon vollendet wäre, was er erhofft; denn wie ich etwas weiter oben erwähnt habe (p. 325,1), sagt er anderswo (Röm. 8,24) ganz deutlich: In der Hoffnung nämlich sind wir gerettet worden. Und deshalb stellt er auch hier in der Fortsetzung als gleichsam vollendet dar, was in der Zukunft sein wird (Eph. 2,6): Er hat uns gleichzeitig auferweckt und gleichzeitig einen Platz gegeben im Himmel, in der Person von Christus Jesus. Sicher ist nämlich, dass Christus schon einen Platz im Himmel hat, noch nicht aber wir; da wir aber in sicherer Hoffnung bereits besitzen, was in der Zukunft sein wird, sagte der Apostel, dass wir gleichzeitig einen Platz im Himmel bekommen haben, allerdings nicht in unserer eigenen Person, sondern in der Person Christi. Damit du nämlich nicht meinst, etwas sei schon jetzt vollendet, das, obwohl erst erhofft, sprachlich so ausgedrückt wird, als sei es schon vollendet, und damit du erkennst, dass es erst noch eintreten wird, fährt der Apostel fort (Eph. 2,7): um in den kommenden Zeiten den überströmenden Reichtum seiner Gnade zu zeigen, den er uns in seiner Güte in der Person von Christus Jesus zukommen lässt. In diesen Zusammenhang gehört auch folgende Stelle (Röm. 7,5): Als wir noch im Fleische waren, wirkten die Leidenschaften der Sünden, welche das Gesetz hervorrief, so in unseren Gliedern, dass sie dem Tod Frucht brachten. Er sagte nämlich: Als wir noch im Fleische waren, als ob sie schon nicht mehr im Fleische wären. Der Satz ist so zu verstehen: Als wir noch in der Hoffnung auf fleischliche Dinge waren, als das Gesetz, welches nur durch die geistige Liebe erfüllt werden kann (cf. Röm. 13,10), zu dem Zweck über ihnen stand, damit durch seine Verletzung das Vergehen mächtig wurde, sodass dann später nach der Enthüllung des Neuen Testaments durch die Verzeihung die Gnade noch mächtiger würde (cf. Röm. 5,20).
Deshalb sagt der Apostel an anderer Stelle ähnlich (Röm. 8,8): Wer aber vom Fleisch bestimmt ist, kann Gott nicht gefallen. Und damit keiner glaubt, es seien jene gemeint, die noch nicht gestorben sind, fügt er gleich hinzu (Röm. 8,9): Ihr aber seid nicht vom Fleisch, sondern vom Geist bestimmt, d.h. jene, die in der Hoffnung auf die fleischlichen Güter sind, können Gott nicht gefallen; ihr aber seid nicht in der Hoffnung auf die fleischlichen, sondern in der Hoffnung auf die geistigen Güter, d.h. auf das Himmelreich, wo auch der Leib selber, der jetzt noch sinnlich ist, durch jene Verwandlung gewissermassen in seiner Art ein geistiger Leib sein wird. Gesät wird nämlichein sinnlicher Leib, wie derselbe Apostel zu den Korinthern sagt (I Kor. 15,44), auferstehen aber wird ein geistiger Leib. Wenn der Apostel also nun schon von denen keinen dem Fleisch nach kannte, über die man, obgleich sie noch das vergängliche und sterbliche Fleisch trugen, sagen konnte, dass sie nicht im Fleisch lebten, weil sie nicht in der Hoffnung auf fleischliche Dinge lebten: wie viel bestimmter musste er da von Christus sagen, dass er ihn schon nicht mehr dem Fleische nach kannte, an dessen Leib in der Wirklichkeit schon vollendet war, was jene erst als Verheissung in der Hoffnung besassen! Wie viel besser also ist es, wie viel gewissenhafter, die göttlichen Schriften so gründlich zu untersuchen, bis sie sich, nach Erörterung aller Stellen, als völlig widerspruchsfrei herausstellen, statt, wenn man als Mensch für eine Frage keine Lösung findet, zu kapitulieren und Teile der Schrift als echt anzuerkennen und andere Teile als gefälscht zu verurteilen! Denn als der Apostel noch ein Kind war und dachte wie ein Kind (cf. I Kor. 13,11), – dies sagte er allerdings im Gleichnis – war er doch noch nicht so geistig, wie er es schon war, als er zum Aufbau der Gemeinden das schrieb, was nicht dazu dienen sollte, in der Hand der Gelehrten mit wissenschaftlichem Ehrgeiz hin und her gedreht zu werden, sondern mit der Autorität des Lehramts im kirchlichen Kanon gelesen zu werden.
