XIV.
1. Also sprach Caecilius und mit einem triumphierenden Lächeln -- der ungestüme Redefluß hatte seiner überschäumenden Entrüstung Luft gemacht -- sagte er: „Nun, wagt hierauf Octavius, der Mann von der Sippe des Plautus, unter den Mühlknechten zwar der erste, aber unter den Philosophen der letzte, eine Entgegnung?“
2. Da fiel ich ein: „Unterlaß es, gegen ihn zu höhnen; es würde gegen die kunstgerechte Form deiner S. 157 Rede verstoßen, wolltest du eher triumphieren, bevor beide Teile gründlich sich ausgesprochen haben. Zudem wollt ihr ja mit eurem Streit nicht Ruhm, sondern die Wahrheit erstreben. 3. Wohl hat mich deine Rede in ihrer wohlberechneten Abwechslung außerordentlich ergötzt; aber nicht bloß bei dem gegenwärtigen Streitfall, sondern überhaupt bei Disputationen jeder Art macht auf mich einen tieferen Eindruck die Tatsache, daß die augenscheinlichste Wahrheit je nach den Kräften der Redner und der Gewalt ihrer Beredsamkeit in ganz verändertem Lichte erscheint. 4. Bekanntlich liegt der Grund dieser Erscheinung in einer Schwäche der Zuhörer. Sie stimmen, durch den verführerischen Zauber der Worte vom Inhalt der Sache abgelenkt, urteilslos allem Gesagten zu und unterscheiden das Falsche nicht vom Wahren. Sie bedenken eben nicht, daß auch beim Unglaublichen Wahrheit und beim wahrscheinlich Klingenden Lüge sein kann. 5. Je öfter sie nun den Behauptungen glauben, desto häufiger werden sie von den Verständigeren des Irrtums überwiesen. Wenn sie sich nun oft durch ihre Leichtgläubigkeit getäuscht sehen, so klagen sie über die Unsicherheit der Wahrheit, anstatt die Schuld bei ihrem eigenen Urteil zu suchen. Die Folge ist, daß sie alles verwerfen und lieber alles in Schwebe lassen, als über trügerische Dinge ein Urteil abzugeben. 6. Darum müssen wir uns vorsehen, daß wir nicht in gleicher Weise von einem Widerwillen gegen alle Erörterungen erfüllt werden, wie viele allzu arglose Menschen sich zu Verwünschungen und zum Haß gegen ihre Mitmenschen hinreißen lassen. Denn zu leichtgläubig werden sie von Leuten hintergangen, welche sie für gut gehalten haben. Darnach fassen sie -- wieder eine Verkehrtheit -- gegen alle Welt Mißtrauen und scheuen als unredlich auch Leute, welche sie ruhig für ganz wacker ansehen konnten. 7. So laßt uns auf der Hut sein, da jede Sache eine doppelte Darstellungsweise zuläßt und da sehr oft die Wahrheit in unscheinbarem Gewande sich einer außerordentlichen Geriebenheit gegenübergestellt sieht, S. 158 welche mitunter durch den Wortschwall die Glaubwürdigkeit eines unwiderleglichen Beweises erweckt. Darum wollen wir sorgfältig Punkt für Punkt erwägen, die gewandte Darstellung loben, das Richtige aber auslesen, anerkennen und gutheißen.“
