XXII.
S. 173 1. Betrachte endlich die heiligen Gebräuche und Mysterien selbst und du wirst auf traurige Todesfälle, Schicksalsschläge, Leichenbegängnisse, Trauerzeremonien und Leichenklagen bei den armseligen Göttern stoßen. Isis betrauert ihren verlorenen Sohn, beklagt ihn und sucht ihn mit ihrem hundsköpfigen Begleiter und ihren kahlköpfigen Priestern und die armen Isisverehrer zerschlagen sich die Brust und machen so den Schmerz der unglücklichen Mutter nach. Wenn dann der Kleine gefunden ist, freut sich Isis, jubeln die Priester und rühmt sich der hundsköpfige Finder, und unaufhörlich verlieren sie Jahr für Jahr, was sie finden, und finden, was sie verlieren, 2. Ist es nicht lächerlich zu betrauern, was man verehrt, oder zu verehren, was man beklagt? Und doch ist dieser ehemals ägyptische Gebrauch nun auch in Rom heimisch. Ceres sucht mit brennenden Fackeln, von Schlangen umgeben, ihre entführte und verführte Libera auf Irrwegen voll Angst und Besorgnis: das sind die Eleusinischen Mysterien. Welches sind ferner die heiligen Gebräuche Jupiter betreffend? Eine Ziege ist seine Amme; dem gierigen Vater wird das Kind entzogen, um nicht verschlungen zu werden, und durch die Musik der Korybanten wird Klirren verursacht, damit der Vater das Wimmern nicht höre. 4. Von den Didymamysterien der Cybele schämt man sich zu reden. Sie verstümmelt ihren Buhlen, der ihr unglücklicherweise gefiel, den sie S. 174 jedoch, weil selbst eine häßliche Alte -- sie war ja die Mutter vieler Götter --, nicht verführen konnte. Natürlich, man mußte doch auch einen Verschnittenen unter den Göttern haben. Diesem Märchen zulieb verehren sie die Cybelepriester und Halbmänner durch Verunstaltung ihres eigenen Körpers. Das sind keine heiligen Gebräuche mehr, sondern Foltern.
5. Beweisen überdies nicht schon die Gestalten und Körperzustände eurer Götter Lächerlichkeit und Schmach? Vulcanus ist ein lahmer und gebrechlicher Gott, Apollo ist trotz seiner vielen Jahre bartlos, Äskulap dagegen hat einen stattlichen Bart, wiewohl er Sohn des ewig jungen Apollo ist. Neptun hat graugrüne, Minerva hellblaue Augen, Juno Augen von einem Rind. Merkur hat geflügelte Füße, Pan Klauenfüße, Saturn gefesselte Füße. Janus gar hat zwei Stirnen, als ob er auch rückwärts gehen könnte. Diana ist bisweilen die hoch aufgeschürzte Jägerin; die von Ephesus mit vielen Brüsten und Zitzen ausgestattet, Diana Trivia bietet mit ihren drei Köpfen und vielen Händen einen grauenhaften Anblick. 6. Und erst euer Jupiter selbst! Bald ist er bartlos dargestellt, bald mit Vollbart abgebildet; unter dem Namen Hammon hat er Hörner, unter dem Namen Capitolinus trägt er Blitze, als Latiaris wird er mit Blut übergossen, als Feretrius mit einem Kranz versehen . Um nicht weiter von den vielen Jupiter zu sprechen; es gibt ebenso viele ungeheuerliche Darstellungen von Jupiter wie Namen. Erigone erhängte sich an einem Strick, damit eine „Jungfrau“ unter den Sternen erglänze. Das Kastorsche Brüderpaar S. 175 stirbt abwechselnd, um dann wieder zu leben. Äskulap wird vom Blitze getroffen, auf daß er zur Gottheit emporsteige. Herkules wird auf den Höhen des Öta vom Feuer verzehrt, um den Menschen abzustreifen.
