8.
Doch ich will zu Avitianus zurückkehren. Während dieser Mann sonst an allen andern Orten und in allen Städten Zeichen seiner unerhörten Grausamkeit zurückließ, konnte man ihm allein den Bewohnern von Tours gegenüber keinen Vorwurf machen. Jene Bestie, die sich von Menschenblut und vom Hinmorden Unglücklicher nährte, zeigte sich sanft und ruhig in Gegenwart des heiligen Mannes. Ich erinnere mich, daß Martinus eines Tags zu ihm kam. Als er in sein Amtszimmer trat, sah er auf seinem Rücken einen erstaunlich großen Dämon sitzen. Martinus hauchte1 diesen von der Ferne an — ich muß mich hier notwendig eines Wortes bedienen, das nicht gut lateinisch ist. Avitianus meinte, er werde angehaucht und sprach: „Heiliger Mann, warum tust du mir das an?“ Darauf entgegnete Martinus: „Nicht dir galt es, sondern dem Garstigen, der dir auf dem Nacken sitzt.“ Jetzt wich der Teufel und verließ den liebgewonnenen Platz. Es ist allgemein bekannt, daß Avitianus von diesem Tag an milder ward, sei es weil er erkannte, er habe immer nur dem Willen des Teufels gefolgt, der ihn beherrschte, sei es weil der unreine Geist, durch Martinus von seinem Sitze vertrieben, die Macht einbüßte, weiter sein Unwesen zu treiben: der Knecht schämte sich ja seines Herrn, und der Herr setzte dem Knechte nicht mehr zu.
In dem Ort Ambatia2 , einem alten Kastell, das jetzt von einer zahlreichen Brüderschar bewohnt wird, S. 134stand, wie ihr wißt, ein großartig angelegter Götzentempel. Der wuchtige Bau, aus fein behauenen Steinen gefügt, reckte sich turmartig in die Höhe. Oben hatte er eine thronförmige3 Gestalt. Er war mit seiner Pracht ein Bollwerk des Heidentums in jener Gegend. Öfter hatte der heilige Mann dem dort ansässigen Priester Marcellus aufgetragen, den Tempel zu zerstören. Später kam er wieder dorthin. Er tadelte den Priester, daß der Götzentempel immer noch dastehe. Dieser entschuldigte sich damit, selbst ein militärisches Aufgebot und die vereinte Anstrengung vieler staatlichen Arbeiter vermöchte es kaum, einen so gewaltigen Bau abzubrechen, noch viel weniger dürfte er leichthin glauben, schwache Kleriker oder kraftlose Mönche hätten dies zu Werke bringen können. Jetzt nahm Martinus die Zuflucht zu seinen gewöhnlichen Hilfsmitteln, er verbrachte die ganze Nacht wachend im Gebete: früh morgens brach ein Sturm los und legte den Götzentempel bis auf die Grundmauern nieder. Für das Gesagte ist Marcellus Zeuge.
Exsufflans. Die Zeremonie des Anblasens, ein Exorcismus, durch den die bösen Geister vertrieben werden sollten, ging der Taufe voraus, wurde aber, besonders in ältester Zeit, vom Taufakt auch ganz getrennt vorgenommen, vgl. Dölger, Der Exorcismus im altchristl. Taufritual [1909] 17; 118/30. ↩
Jetzt Amboise an der Loire, nicht weit von Tours [Loügnon 262]. ↩
Die Handschrift von Dublin hat „in thronum“ [Zellerer a. a. 0. 86]. ↩
