11.
Ich komme zu einem Ereignis, das Martinus wegen der damaligen traurigen Zustände immer verheimlichte, aber vor uns nicht verbergen konnte. Bei dieser Erzählung ist das wunderbar, daß ein Engel mit ihm von Angesicht zu Angesicht redete. Der Kaiser Maximus1 war sonst sicherlich ein guter Mann, aber Bischöfe hatten ihn durch ihre Ratschläge auf verkehrte S. 137Wege gebracht. Nach der Hinrichtung des Priscillian schützte er den Ankläger des Priscillian, den Bischof Ithacius, samt dessen Gesinnungsgenossen, die ich nicht zu nennen brauche, mit seinem kaiserlichen Arme. So sollte diesem niemand das Verbrechen zur Last legen können, daß auf sein Betreiben hin ein Mann von solchem Rufe verurteilt worden sei. Unterdessen nötigten viele schwere Anliegen von andern Bedrängten Martinus, zu Hof zu gehen. Er kam da mitten in den Sturm des ganzen Unwetters. Die in Trier versammelten Bischöfe verweilten dort längere Zeit; sie verkehrten täglich mit Ithacius und machten gemeinschaftliche Sache miteinander. Als sie unerwartet die Nachricht traf, Martinus sei angekommen, sank ihr Mut ganz und gar; ängstliche Bedenken stiegen in ihnen auf und Furcht be-schlich sie. Der Kaiser hatte schon tags zuvor auf ihren Rat hin beschlossen, Beamte mit unbeschränkter Vollmacht nach Spanien zu schicken, um die Häretiker aufzuspüren, sie zu verhaften und ihnen Leben und Besitz zu nehmen. Dieser Sturm mußte sicher auch die zahlreiche Schar der Mönche vernichtend treffen; man machte ja kaum einen Unterschied zwischen den einzelnen Menschenklassen2 ; man urteilte damals nur nach dem Augenscheine, so daß einer mehr wegen seines bleichen Aussehens und seiner Kleidung als wegen seines Glaubens für einen Häretiker gehalten wurde. Die Bischöfe fühlten wohl, daß dies ihr Vorgehen von Martinus nicht gebilligt werde; bei ihrem schlechten Gewissen befiel sie die drückende Angst, er möchte nach seiner Ankunft sich vor dem Verkehre mit ihnen hüten; es gäbe dann sicher Leute, die an der Festigkeit eines solchen Mannes sich ein Vorbild nähmen. Sie hielten mit dem Kaiser Rat. Es wurde beschlossen, Martinus Hofbeamte entgegenzusenden; diese sollten ihm verbieten, sich der Stadt zu nähern, außer er gäbe die Versicherung, daß er mit den dort versammelten Bischöfen Frieden halten wolle. Martinus täuschte sie in kluger Weise und sagte, er werde im Frieden Christi kommen. Schließlich betrat er bei Nacht die Stadt und begab sich S. 138in die Kirche, nur um zu beten. Anderen Tages ging er in den Palast. Unter vielen anderen Bitten, deren Aufzählung zu weit führen würde, wollte er folgende dem Kaiser vortragen: er wollte um Gnade bitten für den Comes Narses und den Präses Leucadius. Beide waren Anhänger Gratians gewesen und hatten durch ihre leidenschaftliche Parteinahme den Zorn des Siegers auf sich geladen, was ich jetzt nicht weiter ausführen kann. Vor allem wollte er darum bitten, daß keine Beamten mit der Befugnis über Leben und Tod nach Spanien geschickt werden sollten. Martinus nämlich war in seiner Liebe ängstlich dafür besorgt, nicht bloß die Christen, die bei dieser Gelegenheit zu leiden hatten, sondern auch die Häretiker zu befreien. Allein am ersten und am folgenden Tage hielt der schlaue Kaiser den heiligen Mann hin, sei es um der Angelegenheit mehr Gewicht zu verleihen, sei es weil er seinen hartnäckigen Gegnern nicht verzeihen wollte3 , sei es weil er, wie die meisten damals annahmen, aus Habsucht widerstand, da ihn nach ihren Besitzungen gelüstete. Man sagt ja, daß er sich allzu wenig von der Habsucht freigehalten habe, obwohl er sonst viele guten Eigenschaften4 aufweisen konnte; dabei muß man vielleicht die Not des Reiches als Entschuldigung dafür gelten lassen, daß er bei jeder Gelegenheit Hilfsquellen für seine Herrschaft erschloß. Die früheren Herrscher hatten ja mit dem Staatsschatz völlig abgewirtschaftet, und er hatte beinahe immer Bürgerkiege zu gewärtigen und mußte dafür gerüstet sein.
S. Vita 20 Anmerkung. Zum Verständnis von Kap. 11 — 14 sei kurz Folgendes bemerkt: Die Irrlehre Priszillians wurde zum erstenmal auf der Synode von Saragossa [380] verurteilt. 382 wandte sich Priszillian zu seiner Rechtfertigung nach Rom an Papst Damasus, aber ohne Erfolg. 384 lud der Usurpator Maximus alle Priszillianisten nach Bordeaux vor. Dort wurde auf einer Synode, der nach Idatius Chron. [Monum. Germ. auct. antiq. XI, 15] auch Martinus anwohnte, ihre Lehre wieder verurteilt. Priszillian verlangte nun, daß seine Sache vor den Kaiser gebracht werde. So wurde sein Prozeß 385 zu Trier weitergeführt. Hier wünschte eine starke Partei unter Führung des Bischofs Ithacius, daß die Todesstrafe über Priazillian verhängt werde. Der hl. Martin mißbilligte das Eingreifen weltlicher Richter in die kirchliche Angelegenheit [vgl. Sulp. Sev., Chron. II, 50, 5], wurde aber deshalb selbst wegen Häresie verdächtigt [1. c. 50, 4]. Auf sein Zureden versprach Maximus, kein Bluturteil vollziehen zu lassen. Nach der Abreise des Martinus ließ sich Maximus aber von der Gegenpartei umstimmen. Der Praefectus praetorio Evodius zog die Priszillianisten vor sein Gericht und verurteilte Priszillian wegen maleficium [Magie] zum Tode. Die Partei des Ithacius suchte [386] Maximus dahin zu bringen, daß er auch die Anhänger des Priszillian in Spanien verfolge; allein zu gleicher Zeit mußten sich die Ithacianer auf der Synode von Trier 386 auch wegen ihres Vorgehens gegen Priszillian rechtfertigen. Hier setzt die Darstellung in Kap. 11 ein. Die folgenden 8 Kapitel sind eine der Hauptquellen für die Geschichte des Priszillianismus. Daß Martinus mit der Verurteilung des Vorgehens das Richtige getroffen hat, zeigt die ganze weitere Entwicklung; denn die Gewaltmaßregeln trugen viel bei zur weiteren Verbreitung der Irrlehre. ↩
Vgl. Hieron. Ep. 22, 13 ; Sulp. Sev., Chron. II, 50, 3. ↩
Lese mit Fürtner 37 f. „obnixis sibi implacabilis“, gemeint sind Narses und Leucadius. ↩
„Bonis artibus“ ist zu lesen, vgl. Sallust, Bell. Jug. 28, 5. ↩
