14.
Die Wundergnade, die eine Zeitlang abgenommen hatte, kam ihm jedoch in doppelter Fülle wieder. Ich konnte mich davon überzeugen, denn ich sah nachher, wie "ein Besessener, den man zur hinteren Pforte des Klosters führte, geheilt wurde, noch ehe er die Schwelle betrat. Vor kurzem hörte ich jemand versichern, daß plötzlich, als er auf dem tyrrhenischen Meer mit dem Kurse nach Rom fuhr, ein Wirbelsturm losgebrochen sei und alle in größte Lebensgefahr gekommen seien. Währenddessen habe ein Kaufmann, ein Ägyptier, der noch nicht Christ war, mit lauter Stimme gerufen: "Gott des Martinus, rette uns"; sofort habe sich der Sturm gelegt, und sie hätten bei ganz ruhiger See den gewünschten Kurs einhalten können.
Die Familie des früheren Vicarius Lycontius, eines gläubigen Mannes, war arg von einer Seuche betroffen; im ganzen Hause lagen Kranke, wie es bei einer so unerhörten Heimsuchung ergeht. Lycontius bat Martinus brieflich um Hilfe. Der heilige Mann war sich klar, daß er nur schwer Erhörung finden werde1 ; denn er fühlte im Geiste, daß jenes Haus von Gott gestraft werde. Dennoch betete und fastete er sieben Tage und Nächte ununterbrochen und hörte nicht eher auf, als bis er erlangte, was zu erbitten er auf sich genommen hatte. Nachdem Lycontius die Güte Gottes an sich erfahren hatte, eilte er zu Martinus, um seinen Dank zu überbringen und zugleich zu melden, daß sein Haus von jeder Gefahr befreit sei. Er bot auch hundert Pfund Silber an; der Heilige wies sie weder zurück noch nahm S. 142er sie an, sondern bestimmte diese Summe, noch bevor sie über die Schwelle des Klosters gekommen war, sofort für die Loskaufung von Gefangenen. Als ihm die Brüder nahelegten, er möge etwas davon für die Bedürfnisse des Klosters zurückbehalten, da der Unterhalt für alle karg bemessen sei und es vielen an Kleidern fehle, antwortete er: "Uns mag die Kirche nähren und kleiden, wenn wir nur nicht den Anschein erwecken, als hätten wir etwas für unseren Gebrauch gesucht."
Bei dieser Gelegenheit kommen meine Gedanken auf große Wunder jenes heiligen Mannes, die wir leichter bewundern als erzählen können. Ihr gebet gewiß zu, wenn ich sage: vieles ist an ihm, was sich nicht schildern läßt. Derart ist jenes Ereignis, das ich kaum so erzählen kann, wie es sich zugetragen hat. Einer der Brüder, der euch bekannt ist, dessen Person ich aber verheimlichen muß, um nicht einem gottgeweihten Manne Schimpf anzutun — dieser also fand beim Kamine des Martinus ein Häuflein Kohlen, rückte seinen Stuhl hin, spreizte die Beine auseinander und saß mit entblößtem Unterleib über jenem Feuer. Da merkte Martinus sofort, daß der gottgeheiligte Raum entehrt werde. Laut rief er aus: "Wer befleckt mit entblößtem Leib unseren Wohnraum?" Sobald das der Bruder hörte und sein Gewissen ihm sagte, der Tadel gelte ihm, eilte er sogleich ganz außer Atem zu mir und gestand seine Schande ein. Martinus hatte dies durch seine Wunderkraft bewirkt.
Hier ist der Text nicht gut überliefert; am besten gefällt die Textkonjektur von M. Haupt, Opusoula III [1876] 891: "rem esse pereuasus difficili impetratione". ↩
