9. Das Verhalten Cyprians und seiner Gemeinde in den Zeiten der Pest.
Immerhin wollen wir, wenn es beliebt, in unserer Erzählung weiterfahren! Später brach dann die schreckliche Pest aus1, und die verheerende, gräßliche Seuche raffte tagtäglich unzählige Menschen, jeden an seinem Ort, in plötzlichem Anfall hinweg und ergriff der Reihe nach die Häuser der zitternden Menge, eines nach dem anderen. Voll Angst flüchtete alles und suchte der Ansteckung zu entgehen; die eigenen Angehörigen setzte man lieblos aus, gleich als ob man mit dem todgeweihten Pestkranken auch den Tod selbst vertreiben könnte. Mittlerweile lagen in der ganzen Stadt schon Haufen von Menschen oder vielmehr schon Leichen auf der Straße und forderten das Mitleid der Vorübergehenden heraus durch die Betrachtung des gemeinsamen Loses. Niemand sah auf etwas anderes als auf grausamen Gewinn; niemand ließ sich durch den Gedanken beunruhigen, daß ein ähnliches Geschick ihn treffen könne; niemand handelte an dem Nächsten so, wie er selbst gewünscht hätte, behandelt zu werden2. Es wäre ein Verbrechen, davon zu schweigen, was unter solchen Umständen Christi und Gottes Hoherpriester geleistet hat, der die Hohenpriester dieser Welt ebenso weit durch seine Nächstenliebe wie durch seine wahre Religion übertraf. Zuerst versammelte er das Volk und hielt ihm den reichen Segen der Barmherzigkeit vor Augen. Er belehrte es an Beispielen aus der göttlichen Schrift, wieviel die Übung der Nächstenliebe dazu beitrage, sich bei Gott Verdienste zu erwerben. Sodann fügte er noch hinzu, es sei nichts Wunderbares, wenn wir nur den Unsrigen die schuldigen Liebesdienste S. 19 erwiesen: denn nur der könne vollkommen werden, der irgendwie mehr tue als der Zöllner und Heide, der Böses mit Gutem überwinde und nach dem Vorbilde der göttlichen Gnade auch seine Feinde liebe und der nach der Mahnung und Aufforderung des Herrn für das Wohl seiner Verfolger bete3. „Er läßt stets seine Sonne aufgehen und schickt von Zeit zu Zeit Regen den Samen zur Nahrung, aber er läßt all diese Wohltaten nicht nur den Seinen zuteil werden; und da sollte einer, der sich sogar als Sohn Gottes bekennt, nicht dem Beispiel seines Vaters folgen? Unser Leben muß unserer Geburt entsprechen, und so gewiß wir durch Gott wiedergeboren sind, ebensowenig dürfen wir unsere Art verleugnen, sondern müssen vielmehr unsere Abstammung von einem so gütigen Vater dartun, indem wir seine Güte nachahmen“4.
Vgl. Cyprians Schrift: 'De mortalitate' ↩
Vgl. Matth. 7, 12. ↩
Vgl. Matth. 5, 44. 46 f.; Röm. 12, 21. ↩
Diese Sätze scheinen wiederum aus einer uns verlorenen Predigt Cyprians zu stammen. Die hier ausgesprochene Forderung der Nächstenliebe auch den Heiden gegenüber ist in der Schrift ,De mortalitate' nicht zu finden. ↩
