8.
Sie esse nicht außer dem Hause und nehme vor allem nicht an den Gastmählern bei den Verwandten teil, damit sie keine Speisen kennenlernt, auf die sie lüstern wird. Es gibt zwar Leute, die darin einen größeren Grad von Tugend sehen, daß man bei sich bietender Gelegenheit auf einen Genuß verzichtet. Ich halte aber die Enthaltsamkeit weniger gefährdet, wenn man das, wonach es einen gelüsten könnte, überhaupt nicht kennt. Als Knabe habe ich in der Schule gelernt: „Nur mit Mühe kannst du ablegen, was dir zur Gewohnheit geworden ist.“ 1 Schon jetzt enthalte sie sich des Weines, S. 396 in dem die Geilheit sich verbirgt. 2 Solange der Körper noch nicht die volle Entwicklung erreicht hat, ist zarten Naturen eine übertriebene Enthaltsamkeit gefährlich. Bis dahin möge sie, wenn es nötig ist, die Bäder besuchen und etwas Wein zu sich nehmen des Magens wegen. 3 Auch kräftigende Fleischnahrung werde ihr verabreicht, damit nicht die Füße den Dienst versagen, ehe sie anfängt zu laufen, Dies aber bitte ich als ein Entgegenkommen, nicht als ein Gebot aufzufassen; 4 denn ich will nicht dem Luxus das Wort reden, sondern nur den schwachen Körper schützen. Wenn allerdings jüdischer Aberglaube, auf halbem Wege stehenbleibend, den Genuß bestimmter Tiere und Speisen verwirft, so wie auch die indischen Brahmanen und die ägyptischen Gymnosophisten 5 nur Mais und Reis und Obst genießen, warum soll da eine Christus geweihte Jungfrau nicht ganze Arbeit machen? Wenn das Glas schon soviel gilt, warum soll die Perle nicht höher im Werte stehen? 6 Wer das Kind eines Gelübdes ist, soll so leben, wie die gelebt haben, die einem Gelübde ihr Dasein verdanken. Gleiche Gnade, gleiche Lasten. Der Musik bleibe sie fern. Wozu Flöte, Leier und Zither da sind, braucht sie nicht zu wissen.
Vgl. Publili Syri sent. 52 (Ribbeck, Comicorum latinorum fragmenta II. Leipzig 1873, 314. 380). ↩
Eph. 5, 18. ↩
1 Tim. 5, 23. ↩
1 Kor. 7, 6. ↩
Seit Alexanders Zug nach Indien war dies der Name für die indischen Philosophen und Asketen, die ursprünglich nackt in den Wäldern lebten. (Valerius Maximus III 3 ext. 6.) Auch die Erwähnung der Priesterschaft der Brahmanen weist nach Indien. Eine ähnliche Sekte lebte in Ägypten. (Philostratos, Apollonius v. Tyana VI 6.) An diese ist wohl auch dort gedacht, wo Hieronymus äthiopische Gymnosophisten erwähnt (ep. 53, 1 ad Paulinum). ↩
Tertullian, Ad mart. 4 (BKV VII 222). ↩
