9.
Täglich lege sie Rechenschaft ab über das ihr aufgegebene Pensum aus der Hl. Schrift. Sie lerne eine Anzahl griechischer Verse. Daran schließe den lateinischen Unterricht an! Denn wenn sich der zarte Mund nicht an die heimatliche Sprache gewöhnt, wird sie S. 397 durch den fremden Klang verdorben und fehlerhaft. 1 Sei Du ihre Lehrmeisterin! An Dir soll sich das unerfahrene Kind erbauen. Weder an Dir noch an ihrem Vater soll sie etwas wahrnehmen, dessen Nachahmung Sünde wäre. Erinnert Euch immer, daß Ihr Eltern einer gottgeweihten Jungfrau seid, bei deren Erziehung das Beispiel mehr ausrichtet als Worte. Blumen verwelken rasch, rasch vernichtet ein verderblicher Lufthauch Veilchen, Lilien und Krokus. Nur in Deiner Begleitung verlasse sie das Haus! Auch die Basiliken der Märtyrer und die übrigen Kirchen besuche sie nicht ohne ihre Mutter. Dulde nicht, daß ein jugendlicher Windbeutel sie anlächelt. Die Vigiltage und die feierlichen Nachtgottesdienste soll unsere kleine Jungfrau so begehen, daß sie sich auch nicht um eines Fingers Breite von der Seite ihrer Mutter entfernt. Sie soll keines von den Dienstmädchen bevorzugen und ihm allerlei ins Ohr tuscheln. Was sie zu der einen sagt, das sollen alle anderen hören dürfen. Nur mit einer solchen Gespielin sei sie gern zusammen, die gesetzt, in der Abtötung geübt, einfach gekleidet und etwas traurig ist, nicht aber mit einer, die aufgeputzt und kokett ist und aus voller Kehle frohe Lieder schmettert. Als Aufseherin gib ihr eine ältere Jungfrau von bewährtem Glauben, Charakter und Tugendsinn, die sie durch Wort und Beispiel dazu erzieht, sich zum nächtlichen Gebet und Psalmengesang zu erheben. Von ihr soll sie lernen, frühmorgens Hymnen zu singen, um die dritte, sechste und neunte Stunde wie eine Streiterin Christi zum Dienst anzutreten und endlich, wenn das Licht angezündet ist, das Abendgebet zu verrichten. So möge sie den Tag verbringen, und über ihre Beschäftigung soll die Nacht hereinbrechen. Lesung löse das Gebet, Gebet löse die Lesung ab! Kurzweilig erscheint die Zeit, wenn sie mit wechselnder Tätigkeit ausgefüllt wird. S. 398
Quintilian, Instit. orat. I 1, 13. ↩
