Einleitung
Mit Spannung wartete Hieronymus auf die Gegenäußerung Augustins, zumal er dem Bischof von Hippo gegenüber wegen manches scharfen Ausdruckes, den er in seinem letzten Briefe gebrauchte, kein ganz reines Gewissen hatte. Schließlich war er ja Augustinus doch S. b461 innerlich zugetan. Es bedeutet deshalb für ihn eine Enttäuschung, als der Mönch Firmus aus Afrika bei ihm sich einfindet, ohne einen Brief seines Gegners mitzubringen. Aber Hieronymus bedient sich der sich bietenden Gelegenheit, um ein rein freundschaftliches Schreiben durch Firmus an Augustinus abzusenden, das geeignet ist, etwa noch bestehende Mißstimmung abebben zu lassen. Gern will er den Briefwechsel mit Augustinus fortsetzen und wissenschaftliche Fragen mit ihm erörtern; aber es sollen keine Kampfbriefe mehr sein, zu denen er sich, wie er entschuldigend bemerkt, nur auf das ständige Drängen seines Partners nach langem Zögern entschließen konnte.
Das Datum der Abfassung dieses Briefes ist wohl ins Jahr 405 zu verlegen, wie auch das der Antwort, welche Augustinus auf die ep. 112 in seiner noch umfangreicheren ep. 116 an Hieronymus gelangen ließ. Da mit ihr die erste Periode des Briefwechsels der beiden Kirchenväter zu Ende ging, sei zum Verständnis der weiteren Entwicklung kurz auf ihren Inhalt hingewiesen. Augustinus bricht der Auffassung, etwa für Rufin gegen Hieronymus Partei ergriffen zu haben, von vornherein die Spitze ab. In der Frage des Apostelstreites hält er seine Meinung aufrecht und sucht die Argumente des Gegners zu widerlegen. Interessant ist, wie sich aus dem Dialog gegen die Pelagianer ergibt, 1 daß sich Hieronymus in dieser Frage später der Auffassung Augustins angepaßt hat. Was die Übersetzung aus dem Hebräischen angeht, hat sich Augustinus zu theoretischer Anerkennung ihrer Bedeutung aufgeschwungen, will aber für die Praxis die LXX beibehalten wissen. Er freut sich zu erfahren, daß Hieronymus das ganze Alte Testament nach der LXX übersetzt hat, und ersucht um ein Exemplar sowie um die Schrift „Über die beste Art zu übersetzen“. Bescheiden bittet er wiederholt um Nachsicht, falls er irgendwie zu weit gegangen sei, und beteuert erneut, daß er seine Briefe nur an Hieronymus, nicht aber an andere gesandt habe. Es ist gewiß mehr als eine Phrase, wenn er bemerkt, daß er als Bischof zwar einen S. b462 höheren Rang bekleide, daß aber Hieronymus ihn in vielen anderen Dingen übertreffe. Freilich betont er auch, daß es unter Freunden möglich sein müsse, seine Meinung frei äußern zu können, ohne daß sich die Gegenseite verletzt fühlt. So schloß denn in harmonischer Weise eine Kontroverse ab, die leicht schlimme Folgen hätte haben können, wenn eben beide Männer nicht so groß gewesen wären.
Dial. adv. Pelag. I 22 (BKV XV 372). ↩
