Einleitung
Ein Dezennium verging, bis die beiden großen Lateiner ihren Briefwechsel wieder aufnahmen. Beide stehen in gemeinsamer Front im Kampfe gegen eine Irrlehre, welche im Gegensatz zu den auf griechischem Boden erwachsenen Häresien nicht so sehr spekulativer Natur war, sondern wegen ihrer Einwirkung auf das praktische Leben des Christen sich besonders gefährlich anließ. Es war dies der Pelagianismus, 1 der in den Thesen des nachmaligen Priesters Caelestius in Afrika seine schärfste Prägung gefunden hatte. Eine erste Zurückweisung wurde ihm 411 auf einer Synode zu Karthago zuteil. In diesen Kampf hatte Augustinus eingegriffen. Mit der bald darauf erfolgten Übersiedlung des Pelagius nach Jerusalem, wo sich dieser mit dem Bischof Johannes, dem alten Gegner des Einsiedlers von Bethlehem, eng befreundete, war die Voraussetzung geschaffen, auch Hieronymus mit der neuen Irrlehre in enge Berührung zu bringen. Augustinus schickte den spanischen Priester Orosius, der Hieronymus über die neuesten Ereignisse in Afrika ins Bild setzte, mit zwei Briefen, welche vor Juli 415 geschrieben waren, nach Bethlehem. Jeder Brief behandelte eine Frage, welche für die Bekämpfung der pelagianischen Irrlehre von Wichtigkeit war. Die S. b464 darin aufgeworfenen Probleme bereiteten Augustinus große Schwierigkeit, und nun suchte er zu Bethlehem Hilfe. Ep. 131 behandelt den Ursprung der menschlichen Seele. Entschied man sich für den Creatianismus, so schien die Lehre von der Erbsünde nur schwer damit vereinbar zu sein. Mit der Frage nach dem Ursprung der Seele hatte sich Hieronymus bereits früher in seiner Streitschrift gegen Johannes von Jerusalem befaßt 2 wie auch in einem zwischen 410 und 412 an Marcellinus und Anapsychia gerichteten Briefe (ep. 126). 3 Im zweiten Briefe (ep. 132) wird der Satz der Stoa von der Gleichheit aller Sünden aufgegriffen. Augustinus will wissen, ob dieser sich mit Jak. 2, 10 vereinbaren läßt. Er hatte, wie übrigens auch Hieronymus, erkannt, daß der Pelagianismus in seiner Ethik auf stoischer Grundlage aufbaute.
Orosius hatte offenbar den Auftrag erhalten, in Palästina gegen Pelagius vorzugehen. Er erhob gegen ihn die Anklage auf Ketzerei auf der am 30. Juli 415 zu Jerusalem gehaltenen Diözesansynode, die aber mit einem Freispruch abschloß. Am 20. Dezember kam es auf einem Konzil zu Diospolis, dem alten Lydda, zu erneuten Verhandlungen, die für Pelagius wiederum günstig endeten. Dies erreichte er durch Preisgabe des Caelestius, vor allem aber durch zweideutige Formulierung seiner Lehrmeinungen.
Hieronymus war bereits vor Augustins Warnung von Pelagius, mit dem er vor Jahren in Rom bekannt geworden war, abgerückt, zumal dieser seinen Kommentar zum Epheserbriefe herabgesetzt hatte. Seine erste Schrift gegen Pelagius und dessen System war die 415 verfaßte ep. 133 an Ktesiphon, auf die dann Ende 415 und Anfang 416 der Dialog gegen die Pelagianer 4 in drei Büchern folgte. Diese finden sich bereits in der ep. 134, der Antwort des Hieronymus an Augustinus, erwähnt, so daß das Jahr 416 als Jahr der Entstehung für unseren Brief in Frage kommt.
Es wirkt eigenartig, daß Hieronymus auf die gestellten Fragen nicht eingeht. Er weist allerdings hin auf S. b465 die Zeitumstände, die ihn mitten in den örtlichen Kampf hineinstellen. Es mag aber auch sein, daß die aufgeworfenen Schwierigkeiten auch von ihm nicht geklärt werden konnten, ohne daß er dies eingestehen wollte. Hieronymus war auch nicht in allen Einzelheiten mit Augustinus gleichen Sinnes. Er fürchtete eine Schwächung der gemeinschaftlichen Front, wenn die Gegner Unstimmigkeiten in den beiderseitigen Auffassungen aufbauschen konnten.
Zur Regelung von Familienangelegenheiten zugunsten Eustochiums und der jüngeren Paula hatte er den Priester Firmus nach Italien und Afrika geschickt. Er empfiehlt ihn seinem Freunde. Der Brief schließt mit einem Nachtrag, der die Übermittlung der erbetenen LXX-Übertragung und anderer seiner Schriften als unmöglich hinstellt. 5
