Dritter Artikel. Die natürlichen Gaben in uns bilden kein Maß für das Eingießen der Liebe.
a) Dies scheint jedoch. Denn: I. Matth. 25, 15. heißt es: „Er gab einem Jeden gemäß der Kraft, die der betreffende hatte.“ Keine andere Kraft aber wie die natürliche geht der heiligen Liebe vorher; denn ohne Liebe keine wahre Kraft, also auch keine vollendete Tugend. Also gemäß dem Umfange der natürlichen Gaben vollzieht sich das Eingießen der heiligen Liebe. II. Im Bereiche der Natur steht die vollendende Form im entsprechenden Verhältnisse zum Stoffe. Die Herrlichkeit steht nun im Verhältnisse zur Gnade. Da also die Liebe die Vollendung der Natur ist, so steht sie im Verhältnisse zur Aufnahmefähigkeit der Natur. III. In den Engeln sind die Gnaden gegeben nach der Fassungskraft im Bereiche des Natürlichen. Also, da beide, Engel und Menschen, an der gleichen Seligkeit teilnehmen, ist dies auch beim Menschen der Fall. Auf der anderen Seite „weht der Geist, wo Er will,“ Joh. 3. und „wirkt ein und derselbe Geist in allen zuteilend jedem wie Er will.“ 1. Kor. 12.
b) Ich antworte, eines jeden Dinges Umfang hänge ab von der eigens entsprechenden Ursache des Dinges; denn je umfassender und allgemeiner die Ursache ist, desto größer ist die Wirkung. Die heilige Liebe aber, da sie alles Verhältnis des Natürlichen überragt, hängt in keiner Weise von einer natürlichen Kraft ab, sondern allein vom Willen des heiligen Geistes, der sie eingießt. Der Umfang der heiligen Liebe also hängt nicht von den natürlichen Seinsbedingungen ab oder von der Fassungskraft natürlicher Fähigkeiten, sondern allein vom heiligen Geiste. Deshalb sagt Paulus (Ephes. 4): „Einem jeden von uns ist Gnade geworden nach dem Maße der Schenkung Christi.“
c) l. Jene Kraft, der gemäß Gott seine Gaben schenkt, ist die Verfassung eines jeden oder die vorgängige Vorbereitung oder das gute Streben dessen, der die Gnade empfängt. Aber dies Alles kommt wieder vom Anstoße des heiligen Geistes, der den menschlichen Geist mehr oder weniger je nach seinem, des heiligen Geistes, Willen vorbereitet. Deshalb heißt es Koloss. 1.: „Der uns würdig gemacht hat des Loses der Heiligen im Lichte.“ II. Die Form überragt nicht das Verhältnis des Stoffes; denn Beides gehört ein und derselben Art an. Auch die Gnade ist nur ein gewisser Anfang der Herrlichkeit in uns, also ein und derselben Art mit dieser. Die heilige Liebe und die Natur aber gehören keineswegs ein und derselben Art an. III. Der Engel ist durchaus Vernunft; und somit richtet er sich mit seiner ganzen Natur auf das, was ihm gemäß der Vernunft zukömmlich ist. (I. Kap. 62, Art. 6.) Also war in den höheren Engeln auch ein größeres Bestreben, auf der einen Seite für das Gute und auf der anderen für das Böse; und deshalb sind die schlechten höheren Engel in der Schlechtheit tiefer gesunken, die höheren guten Engel dagegen haben mehr Herrlichkeit wie die niedrigeren. Der Mensch ist aber nicht rein vernünftiger Natur; ihm kommt es zu, bisweilen im Stande des Vermögens zu sein und bisweilen thätig zu sein. Nicht also ganz und gar richtet er sich auf das, worauf er sich richtet; er könnte dies von seiner Natur selber aus noch mehr oder auch weniger, so daß wer höhere natürliche Kräfte hat weniger stark im Streben sein kann und umgekehrt. Da ist keine Ähnlichkeit.
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