Fünfter Artikel. Die heilige Liebe vermehrt sich nicht in der weise des Hinzuaddierens.
a) So gerade scheint die Art und Weise ihrer Vermehrung zu sein. Denn: I. Der Art des Anwachsens im körperlichen Umfange entspricht die Art des Anwachsens im Umfange einer Kraft. Der körperliche Umfang aber wächst in der Weise an, „daß zur vorherbestehenden Größe etwas hinzugefügt wird;“ sagt Aristoteles. (1. de generat.) Also vollzieht sich auch das Anwachsen des Umfanges einer Kraft vermittelst des Hinzufügens. II. Die Liebe in der Seele ist ein geistiges Licht, nach 1. Joh. 2.: „Wer seinen Bruder liebt, der bleibt im Lichte.“ Das Anwachsen des Lichtes aöer geschieht vermittelst des Hinzufügens anderen Lichtes; wie im Hause z. B. durch Anzünden einer neuen Kerze. III. Die heilige Liebe vermehren ist Sache Gottes, wie auch sie verursachen; nach 2. Kor. 9.: „Er wird vermehren das Anwachsen der Früchte euerer Gerechtigkeit.“ Gott aber, wenn Er die heilige Liebe eingießt, macht in der Seele etwas, was früher nicht da war. Also wenn Er die heilige Liebe vermehrt, fügt Er hinzu, was früher nicht da bestand. Auf der anderen Seite ist die heilige Liebe eine durchaus einfache Form oder Eigenschaft. Etwas Einfaches aber hinzugefügt zu etwas Einfachem macht nicht etwas Größeres, wie 3. Physic. bewiesen wird. Also nicht in dieser Weise wächst die Liebe.
b) Ich antworte, alles solches Hinzufügen ist das Hinzulegen von etwas Bestimmten zu etwas Anderem. Bei jedem derartigen Hinzufügen also wird vorausgesetzt, daß man zum mindesten auffassen kann den Unterschied dessen, was vorherbesteht und hinzugefügt wird, und dessen, was vorherbesteht und wozu hinzugefügt wird. Bei der Liebe also müßte man, wenn nicht dem thatsächlichen Sein nach, so doch dem bloßen Verständnisse, der Auffassung wenigstens nach den Unterschied voraussetzen können zwischen der Liebe, die hinzugefügt wird, und jener, zu der hinzugefügt wird. Wir sagen, mindestens dem Verständnisse, der Auffassung nach; wenn nicht gemäß dem thatsächlichen Sein. Denn Gott könnte einen körperlichen Umfang vermehren, indem Er eine Größe hinzufügt, die vorher nicht bestand, sondern eben geschaffen worden; eine solche Größe würde allerdings nicht vorher bestanden haben in der Natur der Dinge, aber sie würde doch das Fundament in sich haben, auf Grund dessen aufgefaßt wird der Unterschied zwischen ihr und dem Umfange, zu dem sie hinzutritt. So also müßte, zum mindesten der Auffassung nach, die hinzugefügte Liebe unterschieden werden können von der, zu welcher sie hinzutritt. Nun ist der Unterschied in solchen Formen oder Eigenschaften ein doppelter: der eine ist gemäß der Gattungsform, der andere gemäß der Zahl. Der erstere richtet sich nach der Verschiedenheit der Gegenstände; der zweite nach der Verschiedenheit derer, welche diese Zustände tragen. Es kann also zutreffen, daß jemand, der einen Zustand hat, selben durch Hinzufügen vermehrt, indem er ihn auf mehrere Gegenstände ausdehnt; wie wenn jemand in der Geometrie anfängt, etwas von neuem zu wissen, was er früher nicht gewußt hat. Das gilt aber nicht von der heiligen Liebe; denn wer den geringsten Grad davon hat, dessen Liebe erstreckt sich auf Alles, was kraft der heiligen Liebe zu lieben ist. Nicht also kann unter der Vermehrung der heiligen Liebe ein solches Hinzufügen verstanden werden, was einen Unterschied in der Gattung voraussetzt zwischen der hinzugefügten Liebe und der, zu welcher sie hinzutritt. Es bleibt noch übrig die Voraussetzung eines Unterschiedes nach der Zahl; wie wenn z. B. die weiße Farbe vermehrt wird, dadurch daß etwas Weißes mit etwas Weißem verbunden wird, ohne daß damit gesagt ist, es sei etwas weißer geworden. Das kann aber von der Liebe nicht gelten. Denn das Subjekt oder der Träger der heiligen Liebe, wonach sich der Unterschied in der Zahl regelt, ist der vernünftige Geist des Menschen. Sonach müsse bei einer derartigen Vermehrung der heiligen Liebe ein vernünftiger Geist zum anderen hinzugefügt werden, was eine Unmöglichkeit ist. Und wäre es selbst möglich, so würde noch immer keine größere Liebesich ergeben, sondern nur sin größerer Liebender. Also vermittelst solchen Hinzuaddierens geschieht nicht die Vermehrung der Liebe. Dies geschieht vielmehr in der Weise, daß das Subjekt oder der Träger der Liebe mehr und mehr Anteil hat an der Liebe d. h. daß mehr von seinem Vermögen in die Thätigkeit der Liebe übergeht und so er der letzteren in höherem Grade Unterthan wird. Daß die Liebe also wachse, will heißen, sie wohne tiefer dem inne, der sie hat, nicht daß eine andere Liebe hinzutritt; und das will sagen, die Liebe wachse gemäß ihrem inneren Wesen, das ja eben ein Innewohnen ist.
c) I. Der körperliche Umfang hat etwas zu eigen, insoweit er Umfang ist; und etwas Anderes hat er zu eigen, soweit er bloße Eigenschaft, Accidens ist. Insoweit er Umfang ist, schließt er in sich ein den Unterschied nach der Lage oder nach der Zahl; und so geschieht die Vermehrung durch Hinzufügen, wie z. B. bei den sinnbegabten Wesen. Insoweit er aber eine hinzutretende Eigenschaft ist, richtet sich sein Unterschied nach dem seines Trägers oder Subjekts. Und danach hat der Umfang, der eine selbe an sich bleibend (ohne daß etwas hinzutritt), eine eigene Vermehrung, wie die anderen Eigenschaften; dadurch nämlich, daß der Träger ihm mehr sich unterwirft, wie das bei den Körpern der Fall ist, die dünner, also umfangreicher werden (4 Physic). So wird auch eine Wissenschaft vermehrt, als Zustand, von seiten der Gegenstände, insoweit sie sich auf mehr Gegenstände erstreckt; und da geschieht die Vermehrung durch Hinzufügen; — dann wird sie vermehrt, als Eigenschaft, also als innewohnend; und so geschieht die Vermehrung dadurch daß jemand dem Wissen mehr Unterthan, mehr davon durchdrungen und somit mehr gewiß ist. Die Liebe nun wird gemäß dem Umfange vom Gegenstande her nicht vermehrt; wohl aber als Eigenschaft, insoweit sie tiefer eindringt in den liebenden. II. Ein solcher Unterschied besteht bei der Liebe nicht; da ist nur eine einzige Leuchte, welche das Licht der heiligen Liebe einflößt. III. Das Einflößen oder Eingießen der heiligen Liebe schließt ein die Veränderung von: „die Liebe haben“, zu dem: „sie nicht haben“. Die Vermehrung der Liebe aber schließt nur ein die Veränderung von: mehr und minder haben. Es ist also nichts da, was früher nicht dagewefen wäre, sondern tiefer dringt durch die Liebe.
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