Sechster Artikel. Der Ordensberuf und die Verpflichtung, den Eltern zu gehorchen.
a) Aus Gehorsam gegen die Eltern kann jemand sich enthalten, dem Ordensberufe zu folgen. Denn: I. Das vierte Gebot ist verpflichtend, der Eintritt in den Orden unterliegt rein dem freien Willen. Also überwiegt das Erstere. Deshalb sagt der Apostel (1. Tim. 5.): „Wenn eine Witwe Kinder oder Enkel hat, so stehe sie zuerst ihrer Familie vor und entgelte ihren Eltern.“ II. Der Sklave darf nicht ohne den Willen seines Herrn in einen Orden treten oder die heiligen Weihen empfangen; also um so weniger ein Kind ohne den Willen der Eltern. Denn die Unterwürfigkeit der Kinder unter die Eltern kommt von Gott; das Verhältnis des Sklaven zu seinem Herrn vom Fluche Noes über Cham. III. Wer Schulden hat, darf nicht in den Ordensstand eintreten, nach Gregor (Registr. lib. 7. ep. 11.): „Die da öffentlich Rechenschaft noch ablegen müssen, sind in keiner Weise in ein Kloster aufzunehmen, wenn sie sich melden; ehe sie ihre Geschäfte geregelt haben.“ Größer aber ist die Schuld, mit der jemand seinen Eltern verpflichtet ist. Also darf er ohne deren Zustimmung nicht in einen Orden treten. Auf der anderen Seite heißt es (Matth. 4.) von Jakobus und Johannes: „Sie verließen ihre Netze und den Vater und folgten Ihm.“ „Wir sind gehalten,“ so danach Hilarius (can. 3. in Matth.), „Christo zu folgen und uns darin nicht stören zu lassen weder durch weltliche Sorgen noch durch die Rücksicht auf das väterliche Haus.“
b) Ich antworte, den Eltern komme es als den Erzeugern, insoweit sie sonach den Charakter des Princips haben, zu, für die Kinder zu sorgen. Und somit darf niemand, der Kinder hat, in einen Orden treten mit gänzlicher Vernachlässigung der Sorge für die Kinder. Denn „wer keine Sorge trägt für die Seinigen, hat den Glauben geleugnet und ist schlimmer wie ein ungläubiger.“ (1. Tim. 5.) Daß aber die Kinder den Eltern beistehen, ist an sich nicht im natürlichen Verhältnisse begründet, sondern beruht auf äußerlichen Gründen. Sind also die Eltern in Not und können nur durch die Dienstleistungen ihrer Kinder aufrecht gehalten werden, so dürfen die Kinder nicht in den Orden treten. Von diesem Falle abgesehen aber dürfen die Kinder, auch gegen das Gebot der Eltern, falls sie mündig sind, in einen Orden treten; denn nach erlangter Mündigkeit ist jeder frei, sich einen Stand zu wählen, der ihm paßt, zumal soweit dies den göttlichen Dienst angeht: „Mehr ist zu gehorchen nämlich dem Vater der Geister, damit wir leben“ wie den Eltern. (Hebr. 12, 9.) Deshalb tadelt der Herr jenen, der ihm nicht nachfolgen wollte, weil er noch seinen Vater begraben müsse (Matth. 8., Luk. 9.); denn andere waren da, wie Chrysostomus bemerkt, die dies thun konnten.
c) I. Auch jene, die im Orden sind, können das vierte Gebot erfüllen, indem sie für die Eltern beten, sie ehren, ihnen beistehen, soweit dies Ordenspersonen geziemt; denn auch die in der Welt lebenden ehren je nach ihrer Lage in verschiedener Weise die Eltern. II. Weil die Sklaverei zur Strafe der Sünde eingeführt worden, deshalb nimmt sie dem Menschen etwas, was ihm sonst zukäme; nämlich die freie Verfügung über seine Person. Das Kind aber leidet dadurch daß es dem Vater unterworfen ist, keinen Schaden in der freien Verfügung über seine Person; und kann sich demnach frei dem Dienste Gottes widmen, was im höchsten Grade ein Gut für den Menschen ist. III. Wer eine unzweifelhafte Schuld hat, sei es daß ihm jemand etwas geborgt hat oder er Rechnung legen muß, der kann dies nicht erlaubtermaßen beiseitelassen, damit er in den Orden trete. Schuldet er aber Geld und hat nicht,um es zu erstatten, so ist er gehalten, von dem, was ihm gehört, dem Gläubiger zu geben, was er kann. Da jedoch nach dem bürgerlichen Rechte niemand durch Schulden die Verfügung über seine Person verliert, sondern nur über seine Sachen, denn die Person eines Menschen ist nicht mit Geld abzuschätzen; — so kann ein solcher, nachdem er sein Besitztum preisgegeben, in den Orden treten und ist nicht gehalten, in der Welt zu bleiben, bis er seine Schulden bezahlt hat. Der Sohn ist nun gar nicht an eine seinem Vater gebührende Schuld gebunden, außer im Notfalle; wie oben gesagt worden.
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