65. Aus Hippolytus.
In einem anderen uralten Buche, das gemäß der Aufschrift den mit den Aposteln bekannten Hippolytus1 zum Verfasser hat, fand ich erzählt, daß in der Stadt Korinth eine sehr schöne Jungfrau war, die auch S. 433 ein wahrhaft jungfräuliches Leben führte. Zur Zeit der Verfolgung wurde sie bei dem damaligen Richter, der ein Heide war, fälschlich angeklagt, als habe sie die Machthaber und ihre Mißregierung geschmäht und die Götter gelästert; zugleich priesen ihm die Verleumder ihre Schönheit. Der Richter hörte die lügenhafte Beschuldigung mit Freuden an,2 denn er war ein weibertoller, geiler Mensch. Weil er die Jungfrau trotz aller Künste nicht überreden konnte, geriet er in Wut vor sinnlicher Gier, ließ sie jedoch zur Strafe nicht martern, sondern in ein Hurenhaus bringen und gebot dem Aufseher: „Nimm sie und sorge, daß sie täglich drei Goldstücke verdiene! Diese bringst du mir dann!“ Der Aufseher stellte sie also denen zur Verfügung, die sie wollten. Sobald es jene vernahmen, die solcher Art von Weiberliebe frönten, umdrängten sie das Haus der Schande, zahlten die Gebühr und gingen hinein, um ihre Lust zu befriedigen. Aber die Jungfrau bat inständig und sagte: „Ich hab' an geheimer Stelle ein entsetzlich übelriechendes Geschwür und fürchte darum, ihr möchtet nur Ekel empfinden an mir. Lasset mich also noch einige Tage in Ruhe, dann will ich unentgeltlich zu eueren Diensten sein.“ Nun bestürmte sie Gott mit Bitten in jenen Tagen und Gott sah gnädig auf ihren keuschen Wandel und gab einem jungen Beamten ein glühendes Verlangen, für sie zu sterben. Scheinbar der Wollust wegen kam er am späten Abend zum Inhaber jenes Hauses, erlegte fünf Goldstücke und sagte: „Laß' mich heute nacht mit ihr zusammen sein.“ Dann ging er in das heimliche Gemach und sagte zur Jungfrau: „Steh' auf und rette dich!“ Er nahm ihre Kleider und bedeckte sie mit den seinen, dem Untergewand und Mantel und allem, was zur Männerkleidung gehört. Dann sprach er: „Hülle dich fest in den Mantel und geh' hinaus!“ Sie tat es, bezeichnete sich (mit dem Kreuz) und entrann in unbefleckter Reinheit. Am nächsten Tage S. 434 merkte man erst, was geschehen war. Den Beamten überlieferte man dem Gericht und warf ihn den wilden Tieren vor, so daß der Teufel noch einmal zuschanden wurde; denn jenem ward eine doppelte Marterkrone zuteil, starb er doch für sich selber und für jene Selige zugleich.
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Hippolytus, der hochberühmte Schriftsteller, starb 236 oder 237. Zu den Aposteln kann er also nicht in unmittelbarer Beziehung gestanden haben. ↩
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Im Griechischen steht hier ein Ausdruck, der sich deutsch nur umschreiben läßt: Der Richter hörte die falsche Klage (xxx) = mit den Ohren eines Pferdes. Damit soll die geile Gier und zugleich das daraus erwachsene Interesse geschildert werden. Der Ausdruck geht wohl zurück auf Jer 5,8. ↩