46. Die ältere Melania.
Die dreimalselige Melania war von Geburt eine Spanierin, vielmehr eine Römerin;1 sie war die Tochter des Konsularen Marcellinus und die Gattin eines hohen Würdenträgers, dessen Namen ich nicht mehr genau weiß. Mit einundzwanzig Jahren Witwe, wurde sie der göttlichen Liebe gewürdigt - es war zu jener Zeit, da Kaiser Valens2 regierte -, sagte niemand ein Wort, denn man hätte sie gehindert, ließ zugunsten ihres Sohnes einen Vormund aufstellen, lud alle bewegliche Habe in ein Schiff, segelte mit zuverlässigen Knechten und Mägden eilig nach Alexandrien und ging, nachdem alles in Geld verwandelt war, in das S. 411 Natrongebirge, besuchte Pambo, Arsisius, den großen Sarapion, Paphnutius den Sketen, den Bekenner Isidor, Bischof von Hermupolis, Dioskurus und zugleich die Vater, die sich um jene gesammelt hatten. Bei diesen blieb sie beiläufig ein halbes Jahr, durchwanderte die Wüste rings umher und besuchte die Heiligen alle. Da der Statthalter von Alexandrien den Isidor, Pisimius, Adelphius, Paphnutius, Pambo, desgleichen jenen Ammonius, der nur ein Ohr hatte und zwölf Bischöfe und Priester in die Gegend von Diocäsarea in Palästina verbannte, folgte sie diesen und unterstützte sie von ihrem Vermögen. Ihre Diener haben erzählt, als sie verhindert wurden, die heiligen Pisimius, Isidor, Paphnutius und Ammonius wie gewöhnlich zu besuchen, da zog Melania Sklavenkleider an und brachte ihnen stets am Abend die nötige Nahrung. Sobald der Statthalter von Palästina das merkte, beschloß er, sie zu quälen, um Geld zu erpressen. Er nahm sie gefangen und warf sie sogleich in den Kerker, denn er wußte nicht um ihren freien Stand. Da sagte sie offen zu ihm: "Mein Vater hieß so und mein Gatte so; jetzt aber bin ich eine Sklavin Christi. Verachte nicht meine wertlose Kleidung, denn ich kann jederzeit in Glanz und Ehren auftreten, wenn ich will; dir aber steht kein Recht zu, mich zu quälen noch etwas von meiner Habe zu nehmen. Ich offenbare dir das, damit du nicht eine Schuld auf dich ladest; denn harte Menschen muß man stolz behandeln wie einen Falken," Da bat der Richter fußfällig um Entschuldigung und ließ sie nach Belieben zu den Heiligen gehen.
Als jene zurückkehren durften, gründete Melania zu Jerusalem ein Kloster und war daselbst noch siebenundzwanzig Jahre lang in Gemeinschaft mit fünfzig Jungfrauen. Zu gleicher Zeit mit ihr lebte dort auch ein Mann von verwandtem Charakter, nämlich der S. 412 hochedle, unerschrockene Rufinus3 aus der Stadt Aquileja in Italien, der später in den Priesterstand erhoben ward. Es war unmöglich, einen Mann zu finden, der ihn an Gelehrsamkeit und Edelmut übertroffen hätte. Beide nahmen in diesen siebenundzwanzig Jahren die Jerusalempilger auf, Bischöfe, Mönche und Jungfrauen, und erbauten alle durch opferwillige Nächstenliebe. Sie legten auch das Schisma des Paulinus4 bei, durch das sich an dreihundert Mönche von der Einheit entfernt hatten, gewannen alle, die Falsches über den Heiligen Geist lehrten, führten sie wieder in die kirchliche Gemeinschaft zurück, ehrten die Kleriker durch Geschenke, gaben ihnen Lebensmittel und starben, ohne jemand Ärgernis gegeben zu haben.5
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Sie muß von mütterlicher Seite mit einem spanischen Geschlechte verwandt gewesen sein. ↩
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Valens regierte 364-378. Die Heilige verließ Rom bald nach dem Tod ihres Gatten Valerius Maximus, der 362 allem Anscheine nach Stadtpräfekt war. Wahrscheinlich fällt die Flucht in das Jahr 373. ↩
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Der bekannte Kirchenschriftsteller, früher Freund, dann Gegner des hl. Hieronymus ↩
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Es muß eine Verwechslung sein mit Paulinian, dem Bruder des hl. Hieronymus, der vom hl. Epiphanius ohne Zustimmung des Bischofs Johannes von Jerusalem in Bethlehem zum Priester geweiht wurde. Deshalb entstand eine Spaltung unter den Mönchen. ↩
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Die hl. Melania starb 410 zu Jerusalem, Rufinus im gleichen Jahr zu Messina. ↩