Kap. 10. Ordnung des Klosterlebens.1 (Bau einer Kirche.)
Der Heilige war auch mitfühlend und bruderliebend wie nur einer. Denn er litt mit den Bejahrten und von einem körperlichen Leiden Gequälten von ganzem Herzen, zu den Jungen aber stieg er herab, er bemitleidete sie und sorgte eifrig in allem für ihr Seelenheil. So machte er Fortschritte im Glauben, und die Zahl der Brüder mehrte sich gewaltig, und viele Eiferer für das Gute zeigten sich.
Er stellte nun wieder einige von ihnen auf, die sich mit der Gewinnung der hinzugekommenen Seelen zu beschäftigen hatten. Denn viele strömten, wie gesagt, zu ihm, und auf verschiedene Weise kämpften sie, um auf geistlichem Gebiete fortzuschreiten. So gab es einen großen Unterschied in ihrem Zustand und Lebenswandel. Der Vater selbst aber, in allem geleitet von der Gnade, gab für jede Art der Lebensführung Vorbild, Maß und Regel. Den einen nämlich war die Handarbeit zum Lebensunterhalt übertragen, den anderen wieder die Aufgabe der Bedienung für die gemeinsame Brüderschaft - und zwar jeder nach der ihm gegebenen Regel. Sie erhielten jedoch ihre Nahrung nicht zu den gleichen Stunden, sondern jeder übte sich je nach seiner Tätigkeit und Enthaltsamkeit.
Er stellte also einen Verwalter auf für die leiblichen Bedürfnisse der Brüder und Fremden und neben ihm einen Unterverwalter. Und sie alle forderte er auf, bereitwillig Gehorsam zu üben und ermahnte sie, niemals eigenwillig zu sein, damit sie so auf den Nutzen Gottes bedacht seien und nicht auf ihren eigenen. Da Pachomius viel beschäftigt und oft auch abwesend war, hatte er neben sich einen zweiten Vorstand aufgestellt. Er hatte die Befugnis, alle Anordnungen im Kloster zu treffen, ohne jede Überhebung und ohne allen Hochmut, in tiefer Demut zur Erbauung und zum Nutzen der Brüder, indem er allesS. 825vorzeichnete und ausführte, bis der Vater wieder zu ihnen zurückkehrte. So sorgte er für die Brüderschaft und freute sich sehr über ihr Gedeihen. Nach einiger Zeit nun wurde er aufmerksam auf die in der Nähe ihre Herden weidenden2 armen Leute und erwog, wie sie ausgeschlossen seien von der Versammlung und christlichen Unterweisung, die am Sabbat und am Tag des Herrn abgehalten wurde. Er faßte den Entschluß, nach der Meinung Aprions,3 des Bischofs von Tentyra, ihnen eine Kirche zu bauen in ihrem einsamen Dorfe, damit sie sich in ihr versammeln und die göttliche Unterweisung genießen könnten. Da es aber noch niemanden gab, der sie pflichtgemäß versammeln mußte, ging er selbst um die Stunde der Versammlung mit anderen Brüdern hin und las ihnen die Heilige Schrift vor, da für sie noch kein Vorleser aufgestellt war, und gab selbst, was die dorthin kommenden Fremden bedurften, bis er in der Kirche einen Priester aufgestellt hatte. Beim Vorlesen aber zeigte er eine so tiefe Frömmigkeit und eine solche Andacht, er bezwang seine Augen und sein Herz so sehr, daß die Weltleute, die ihn sahen, ihn für einen Engel hielten, der in ihre Mitte gekommen sei, und nicht für einen Menschen. Daraus schöpften viele die Bereitwilligkeit, Christen und Gläubige zu werden. Er glühte aber auch von solcher Liebe zu seinen Brüdern und den Menschen, daß er oft, wenn er die Menschen sah, wie sie der Verführung des Satan folgten und nichts wissen wollten von dem einzigen, wahren Gott, seufzte und weinte über ihr Verderben und nach ihrer Rettung verlangte.
