Kap. 42. Ein Bruder will Märtyrer werden, verleugnet aber Gott; seine Buße.
Es war ein Bruder, der für sich allein der Askese lebte, einer von den berühmten. Dieser hörte von dem Leben unseres heiligen Vaters Pachomius und bat ihn, er möge ihn in das Kloster aufnehmen. Der Große nahm ihn auf, und er lebte kurze Zeit mit den Brüdern. Da ergriff ihn das Verlangen, als Märtyrer Zeugnis abzulegen, während doch die Welt Frieden hielt, die Kirche zunahm und durch die Gnade Gottes Frieden genoß damals, als der selige, Christus verehrende Konstantinus Kaiser war. Der Mönch bat fortgesetzt den Seligen, indem er sagte: „Vater, bete über mich, damit ich Märtyrer werde.“ Der Große ermahnte ihn, nicht mehr zuzulassen, daß dieser Gedanke in sein Herz Eingang finde und sprach zu ihm: „Bruder, nimm den Kampf des Mönches auf dich, indem du dein Leben mutig und untadelhaft nach dem Wohlgefallen Christi einrichtest, und du wirst im Himmel die Gemeinschaft mit den Märtyrern haben.“ Jener aber nährte seinen Wunsch tagtäglich nur noch mehr und bedrängte den Heiligen, daß er über ihn bete. Da der Große endlich diese Belästigung von sich weisen wollte, sprach er zu ihm: „Es sei, ich will über dich beten. Außerdem, wenn du das wünschest, wird es über dich kommen. SeiS. 883aber auf deiner Hut, damit du nicht, wenn einmal die Stunde kommt, als einer erfunden wirst, der, anstatt Zeugnis abzulegen, Christus verleugnet. Denn in der Tat, du bist damit auf einem Irrweg, daß du freiwillig dich in Versuchung begeben willst, während doch unser Herr und Heiland, Jesus Christus, uns befiehlt, zu beten, daß wir nicht in Versuchung fallen“.1 Darauf ermahnte er ihn, sich zu hüten und nicht mehr daran zu denken. Nach zwei Jahren nun geschah es, daß einige von den Brüdern von dem Großen in ein weiter oberhalb gelegenes Dorf geschickt wurden, um Binsen zu sammeln für die Herstellung der Matten im Kloster. Dieses Dorf liegt im Bereich der Barbaren, der sogenannten Blemmyes.2 Während sich die Brüder noch dort bei einer Insel aufhielten, auf der es viele Binsen gab, schickte der Selige den Bruder, der Märtyrer werden wollte, zu den Brüdern, um ihnen einige Lebensmittel zu bringen, indem er ihn aufforderte, auf seiner Hut zu sein und zu ihm das geheimnisvolle Wort der Schrift sagte: „Siehe, jetzt ist der rechte Augenblick, siehe, jetzt ist der Tag des Heiles, indem sie in nichts Anstoß erregen, damit ihr Dienst nicht getadelt werde“.3
Der Bruder nahm einen Esel, welcher mit Lebensmitteln beladen war, und reiste zu den Brüdern. Als er in die Wüste gekommen war, stiegen die Barbaren von dem Berg herab, um Wasser zu holen. Sie begegneten ihm, warfen ihn von dem Esel herunter, banden ihm die Hände, nahmen den Esel mitsamt der Ladung und führten ihn fort auf den Berg zu den anderen Barbaren. Als ihn diese mit dem Esel daherkommen sahen, da begannen sie ihn zu verspotten und sagten: "Mönchlein, komm und bete unsere Götter an!„ Sie schlachteten Tiere und brachten ihren Götzenbildern Trankopfer dar. Sie führten auch den Mönch herbei und zwangen ihn, mit ihnen die Spende darzubringen. Als er das nicht tun wollte, da drangen sie vollS. 884Wut auf ihn ein mit blanken Schwertern und drohten, ihn sogleich zu töten, wenn er ihren Göttern nicht opfere und ihnen keine Spenden darbringen wolle. Als er die blanken Schwerter und ihr wildes Wesen sah, nahm er rasch den Wein und opferte ihren Götzen und aß mit ihnen von dem Fleisch der den Göttern geopferten Tiere. Aus Furcht, den körperlichen Tod zu erleiden, tötete er seine Seele, indem er Gott, den Herrn aller Dinge, verleugnete. Nachdem er dies getan hatte, ließen ihn die Barbaren frei.
Er ging von dem Berge herab, kam zu sich und erkannte seine Freveltat, vielmehr die Gottlosigkeit, welche er verübt hatte. Er zerriß seine Kleider, zerschlug heftig sein Gesicht und ging in das Kloster.
Als der Selige sein Unglück erfuhr, ging er voll Schmerz hinaus und ihm entgegen. Als der Bruder ihn herankommen sah, warf er sich auf das Antlitz zur Erde nieder und rief unter Tränen: “Ich habe gesündigt vor Gott und dir, mein Vater; denn ich habe nicht gehört auf deinen guten Rat und auf deine Ermahnung. Hätte ich doch das nicht auf mich genommen!
Der Große hörte das und sprach zu ihm: „Stehe auf, Unseliger! Dich selbst hast du ausgeschlossen von so großen Gütern, Unglücklicher. Wahrlich, die Krone war dir aufgesetzt, du aber hast sie von dir geworfen. Du warst daran, den heiligen Märtyrern beigezählt zu werden, du aber hast dich losgesagt von ihrer seligen Gemeinschaft. Der Herr Christus war mit seinen heiligen Engeln zugegen, um dir die Siegesbinde um das Haupt zu legen, und ihn hast du verleugnet wegen eines kurzen Augenblicks; du bist dem Tode, den du auf dich nehmen wolltest, auch wider deinen Willen verfallen, da du ihn fürchtetest, indem du das ewige Leben deines Gottes verloren hast. Wo sind deine früheren Worte, wo dein Streben?“ Jener sagte: „Ich habe gesündigt in allem, mein Vater; ich kann mein Angesicht nicht mehr zum Himmel heben: ich bin verloren, Vater, denn ich habe von jetzt an keine Möglichkeit mehr, zu bereuen. Was soll ich tun, Vater? Ich dachte nicht, daß es so kommen werde.“S. 885Als er so weinte und sprach, entgegnete ihm der Große: „Du Unseliger hast dich vollständig vom Herrn getrennt. Aber der Herr ist gut und niemals hat er das Martyrium verlangt. Denn er will Mitleid und kann unsere Sünden in die Tiefe des Meeres versenken; so weit der Himmel von der Erde entfernt ist, so weit entfernt er von uns unsere Sünden. Denn er will nicht den Tod des Sünders, sondern seine Reue;4 er will, daß der Gefallene nicht auf seinem Fehltritt beharrt, sondern sich aufrichtet, daß der, welcher sich von ihm wendet, sich nicht weit entfernt, sondern eiligst zu ihm zurückkehrt. Deshalb verzweifle nicht an dir! Denn es besteht eine Hoffnung auf Rettung. - Wenn der Stumpf der Bäume wieder grünt, sagte er.5 - Wenn du auf mich in allem, was ich dir sage, hören willst, wirst du von Gott Verzeihung erlangen.“
Der sprach weinend: „Ich höre auf dich von jetzt an in allem, mein Vater.“ Und der Große befahl ihm, sich zurückzuziehen in eine ruhige Zelle, sich abzuschließen und mit niemand bis zu seinem Tode zu verkehren, über einen Tag nur Brot und Salz zu essen und bloß Wasser zu trinken während der ganzen Zeit seines Lebens; jeden Tag zwei Matten zu flechten; zu wachen, solange er könne, nach Kräften zu beten, mit dem Weinen überhaupt nicht aufzuhören. Der Bruder zog sich zurück, wie es ihm der Selige geboten hatte und verdoppelte, was er ihm zu tun aufgetragen. Er verkehrte mit niemand außer mit dem großen Theodorus und mit wenigen der großen, greisen Väter, und nachdem er zehn Jahre in diesem Kampfe zugebracht hatte, entschlief er durch die Gnade Gottes, wobei der Große bei seinem Heimgang ein schönes Zeugnis ablegte.
