Kap. 13. Theodorus wird für das Kloster des Pachomius gewonnen
Als der Ruf von diesem Lebenswandel zu jedem und überallhin kam und der Name des heiligen Pachomius zu allen drang, da priesen viele den Namen Christi, nicht wenige aber wiederum verachteten die Dinge der Welt und widmeten sich dem einsamen Leben.
Unter ihnen befand sich auch ein gewisser Theodorus; er war vierzehn Jahre alt und stammte von christlichen Eltern ab, die eine hohe Stellung einnahmen. Dieser beschaute, als einmal am elften Tage des Monats Tybi1 ein Fest gefeiert wurde, sein Haus, das wunderbar schön und groß war und prächtig geschmückt mit all den Dingen der Welt; da wurde er getroffen im Herzen durch die göttliche Gnade und sagte zu sich: "Was nützt mir dies und was gewinne ich Unglücklicher, wenn ich durch den Genuß der zeitlichen Freuden des gegenwärtigen Lebens die ewigen Güter verliere? Denn niemand, der zum Genuß dieser weltlichen Dinge gelangt ist, vermochte Anteil am ewigen Ruhm zu gewinnen." Er seufzte darüber und ging hinein in ein verborgenes Gemach des Hauses; und er fiel nieder auf sein Antlitz und sprach unter Tränen: "Herr, der Du das Verborgene kennst, Du weißt, daß ich nichts von den Gütern dieser Welt höher geschätzt habe als die Liebe zu Dir. Deshalb flehe ich Dich an, o Herr, führe mich hin zu Deinem Willen undS. 831erleuchte meine Seele, damit ich Dich in allem lobe und preise.
Als er dies gesagt hatte, da trat seine Mutter zu ihm hin; sie betrachtete ihn aufmerksam und sah seine Augen voll Tränen, und sie sprach zu ihm: "Was hat dir Schmerz verursacht, mein Kind, und warum hast du dich von uns entfernt? Unter Schmerzen haben wir dich gesucht." Er aber erwiderte ihr: "Entferne dich, Mutter, und genießet ihr von den Speisen! Denn ich will jetzt nichts essen." Und er nahm nichts davon zu sich. Wenn er in die Schule ging, fastete er bis zum Abend; oft aber erstreckte sich sein Fasten sogar über zwei Tage; er enthielt sich zwei Jahre lang freiwillig der üppigen Speisen und gewöhnte sich so an die vollkommene Askese.
Dann faßte er den Entschluß, in das Kloster zu gehen, er zog sich zurück und vergaß selbst all die Seinigen. Und er fand fromme Brüder, die einen tugendhaften Lebenswandel führten und wohnte bei ihnen.
Als sich die Mönche einmal nach dem Abendgebet niedergesetzt hatten und miteinander über die Heilige Schrift nachsannen, da hörte er einen von ihnen sprechen über das Zelt im Alten Bunde und über das Allerheiligste. Und er gab die Lösung durch ein Gleichnis mit zwei Völkern und sagte: "Das äußere Zelt bedeutet das erste Volk der Juden, das Allerheiligste aber ist ein Zelt, das den geheimnisvolleren und herrlicheren Eingang für die Völker hat. Denn statt des Opfers von lebenden Tieren und des Räuchergefässes und des Tisches und der Bundeslade mit den Broten von Manna und der Gesetzesrolle und was sonst noch darin ist, und anstatt des Lichtes des Leuchters und des Deckels über der Bundeslade haben wir das Wort Gottes geschaut in seiner Menschwerdung, der uns erleuchtete mit dem Licht der Erkenntnis und der zum Versöhner wurde für unsere Sünden."
Nachdem der Bruder dies den bei ihm sitzenden Brüdern erklärt hatte, sagte er wieder: "Diese Deutung habe ich von unserem heiligen Vater Pachomius gelernt, der die Brüder in Tabennesis zusammengeführtS. 832hat zur Vollendung im Herrn. Ich glaube, daß ich Verzeihung meiner Sünden vom Herrn erlangen werde, weil ich eines gerechten Mannes gedachte in dieser Stunde."
Als dies Theodorus hörte, entbrannte sein Herz, und er sprach: "Herr Gott, wenn ein so heiliger Mann auf Erden wandelt, würdige mich, ihn zu sehen und ihm nachzufolgen in jedem Gebot, damit auch ich zum Heile gelange und würdig werde der Güter, die Du denen verheißen hast, welche Dich lieben." Mit diesen Worten sammelte er sich unter Tränen, in der Seele getroffen von der göttlichen Liebe.
Nach einigen Tagen kam zu ihnen ein gewisser Pekusius,2 ein frommer und überaus christlicher Mann, von hohem Alter, um sie zu besuchen und mit dem Wunsche, zu erfahren, wie sie lebten. Theodorus bat nun den Mann, er möge ihn mit sich nehmen. Der zögerte nicht lange und nahm ihn mit sich fort. Und als er an den Platz kam, da betete er den Herrn an und sprach: "Gelobt bist Du, o Gott, weil Du so schnell auf mich, den Sünder, gehört hast und mir meine Bitte erfüllt, die ich an Dich richtete." Theodorus traf auch mit Pachomius zusammen; er begann an der Türe heftig zu weinen und mit Tränen sein Gesicht zu benetzen. Der Vater sah ihn und sprach: "Weine nicht, mein Kind! Denn auch ich, obgleich ich ein sündiger Mensch bin, habe Gottes Werk auf mich genommen." Darauf führte er ihn hinein in das Kloster. Wie er nun die Brüder sah, da wurde er erleuchtet in seinem Geiste, und seine Seele nahm in sich auf den Eifer für die Gottesverehrung. Er machte Fortschritte und wurde groß durch seine Tugend nach dem Herzen Gottes. Denn er war verständig und klug und hatte sich einen starken und wunderbaren Gehorsam erworben durch den freigebigen Gott und seine Gnade; durch seine Beharrlichkeit im Fasten und Wachen und ausdauerndem Gebet strebte er immerfort und unaufhörlich nach größeren Gnaden. Er war der Trost vieler Unglücklicher und richtete die auf, welche etwa gefallen waren.
S. 833Wie so Pachomius seine leuchtende Askese sah, lobte er ihn sehr und schloß ihn ein in sein Herz. Als seine Mutter aber hörte, daß er sich hier aufhalte, da reiste sie nach dem Kloster und hatte Briefe von Bischöfen bei sich, in denen Pachomius aufgefordert wurde, ihr den Sohn freizugeben. Sie fand Aufnahme in dem nahe beim Kloster gelegenen Asketerion der Frauen. Sie schickte die Briefe an Pachomius und bat ihn, er möge ihr gestatten, ihren Sohn zu sehen. Da rief er den Theodorus zu sich und sprach zu ihm: "Ich habe gehört, mein Kind, daß deine Mutter hierher gekommen ist und dich sehen will. Und siehe, sie hat uns auch Briefe von Bischöfen überbracht. Entferne dich und tröste sie, ganz besonders auch mit Rücksicht auf die heiligen Männer, welche an uns geschrieben haben." Theodorus entgegnete ihm: "Gib mir die Sicherheit, Vater, wenn ich sie sehe, nachdem ich diese hohe Erkenntnis erlangt habe, daß nicht der Herr Rechenschaft von mir fordern wird an jenem Tage, deshalb, weil ich sie verlassen habe, jetzt aber wieder - für die Brüder ein Anstoß zur Sünde - mit ihr zusammentreffe. Denn wenn die Söhne Levis, welche lebten, ehe die Gnade Gottes über die Menschen gekommen war, ihre Eltern und Brüder nicht mehr kannten, um das Recht Gottes zu behüten, um wieviel weniger darf ich, der ich einer solchen Gnade gewürdigt worden bin, Eltern und Familie höher schätzen als die Liebe zu Gott. Denn es spricht der Herr: 'Wer Vater und Mutter mehr liebt wie mich, der ist meiner nicht wert."3
Da sagte Pachomius zu ihm: "Wenn du geprüft hast, mein Kind, und glaubst, daß es dir nicht nützt, ich zwinge dich nicht. Denn das ist die Art derer, die sich vollständig von der Welt zurückgezogen und sich vollkommen verleugnet haben. Es muß nämlich der Mönch die schädlichen weltlichen Zusammenkünfte meiden, die aber, welche Glieder Christi und Gläubige sind, alle in gleicher Weise lieben und zu sich kommen lassen. Wenn aber einer unter dem[S. >Zwänge einer weltlichen Leidenschaft sagt: Sie sind mein Fleisch und ich liebe sie - der möge hören, was die Schrift spricht: 'Wem einer unterliegt, dem ist er auch Knecht.'"4
Theodorus wünschte also nicht, daß seine Mutter ihn sehe. Da entschloß auch sie sich, in dem Asketerion zu bleiben, bei den Schwestern, den Jungfrauen in Christo, indem sie dachte: Vielleicht werde ich ihn immerhin, wenn Gott es zuläßt, unter den Brüdern sehen. So kann auch das, was nach Gottes Willen bitter ist, aber zur Ehre Gottes geschieht, zu einem nützlichen Geschenk für die werden, welche es trifft, wenn es auch eine kurze Zeit schmerzlich zu sein scheint. Wie wir aber diesen eifrigen Menschen, den Theodorus, als Beispiel hier vorgeführt haben, zur Nacheiferung für die, welche das Gute nachahmen wollen, so müssen wir auch der Leichtfertigen Erwähnung tun, als Mahnung zur Vorsicht für die Hörer.
