Kap. 5. Berufung zum Gründer eines Klosters in Tabennesis.
Einmal ging er aus der Zelle eine ziemlich bedeutende Strecke weg und kam zu einem Dorfe, namens Tabennesis;1 er stand da lange Zeit nach seiner Gewohnheit im Gebete, da hörte er eine Stimme, die zu ihm sprach: "Pachomius, bleibe hier und gründe ein Kloster; denn es werden zu dir viele kommen, die das Heil finden wollen. Diese leite nach der Vorschrift, die ich dir geben werde."
Sogleich erschien ihm nun ein Engel und gab ihm eine Tafel, auf welcher die ganze Ausbildung derer, die zu ihm kommen sollten, aufgezeichnet stand. Nach ihr leben die Mönche von Tabennesis, die sie von ihmS. 810empfangen haben, bis auf diese Zeit, sie tragen die gleiche Tracht und beobachten dieselbe Lebensweise. Denn sie haben überkommen die Art und Weise der Kleidung, überkommen auch die Regeln.
Pachomius indes erkannte durch die Reinheit seines Verstandes und durch die Einsicht in die von Gott eingegebene Heilige Schrift, daß die Stimme eine göttliche sei und die Anordnungen Bewunderung verdienten. Er kehrte zu seinem geistigen Vater zurück und erzählte diesem von der Stimme, die zu ihm gesprochen hatte. Er bat ihn und flehte ihn an, mit auszuziehen zur Erfüllung des göttlichen Willens. Der aber wollte ihn nicht kränken, da er ihn wie seinen leiblichen Sohn nach dem Willen Gottes hielt, er ließ sich überreden und kam mit ihm zu dem bestimmten Platze bei dem Dorfe. Sie bauten hier ein kleines, zellenartiges Gebäude nach dem Muster und Aussehen eines Klosters und freuten sich sehr über die Verheißung Gottes.
Der heilige Greis sprach nun zu Pachomius: "Da ich überzeugt bin, daß dir diese Gnade von Gott gewährt worden ist und da du von jetzt an hier leben wirst - wohlan, laß uns eine Übereinkunft miteinander schließen, daß wir uns nicht trennen wollen, solange wir in diesem irdischen Leben weilen, sondern daß wir uns immer und oft besuchen wollen." Beiden gefiel dieser Vorschlag, und sie taten so, solange der in Wahrheit selige und vollkommene Asket Palamon im Fleische lebte.
Inzwischen aber wurde der Greis infolge der übermäßigen asketischen Übungen milzleidend, und sein Körper war sehr schwach. Denn bald aß er, ohne Wasser zu trinken, bald wieder trank er, ohne überhaupt etwas zu essen. Einige Brüder im Geiste, die zu ihm kamen, ermahnten ihn, seinen gebrechlichen Körper nicht gänzlich aufzureiben, sondern ihm einige Pflege zu schenken, damit er ihm nicht infolge zu großer Anstrengung Schmerzen verursache. Mit Mühe nur ließ er sich bestimmen, einige wenige Tage hindurch die der Krankheit entsprechende Nahrung zu genießen. Als er aber wahrnahm, daß sich der Schmerz trotzdem nur steigere, da verzichtete er auf jeneS. 811Speisen und sprach folgendermaßen: "Wenn die Märtyrer Christi, denen die Glieder abgehauen wurden, die enthauptet und verbrannt wurden, durch den Glauben an Gott bis zum Tode ausharrten, wie soll ich in einem so geringfügigen Leid nachgeben und mich so selbst strafen, wie soll ich aus Furcht vor einer zeitlichen Bedrängnis feige werden? Trotzdem ließ ich mich überreden (und aß die Speisen, welche den Schmerz lindern zu können schienen; es hat mir aber nichts genützt);2 S. 812ich werde also zurückkehren und mich wieder der früheren Askese widmen, in der, wie ich wenigstens überzeugt bin, jede Erholung beschlossen liegt. Durch sie werde ich auch geheilt werden. Denn nicht nach Menschengebot gebe ich mich ihr hin, sondern ich kämpfe um Gottes Willen."
Mutig widmete er sich nun dem asketischen Leben. Nach einem Tage aber fiel er in eine Krankheit, in der ihn auch Gott heimsuchte. Pachomius kam zu ihm, pflegte ihn und küßte seine Füße. Er aber umarmte den Pachomius und sprach mit ihm, wie wenn er seine zeitlichen Angelegenheiten ordnen wollte. Dann bedeckte er sich selbst in geziemender Weise und entschlief in hohem Alter. Pachomius aber sorgte gewissenhaft für sein Begräbnis und übergab den Leichnam der Erde; seine Seele aber wurde von einem Chor von Engeln zum Himmel geleitet. Pachomius jedoch kehrte wieder zurück in seine Heimat der Askese.
Ort (Nilinsel?) in der Thebais in Oberägypten. Auch Tabennesos, Tabennesia. ↩
Der Vat. graec. 819 zeigt nach (xxx) eine Rasur, welche in der Photographie nicht zu entziffern ist. Sie erstreckt sich über drei Zeilen und wurde aus dem Laur. graec. 11,9 ergänzt. [Es folgt eine Gegenüberstellung beider Texte in Griechisch (xxx)] Ich habe die Stelle hier wiedergegeben, um zu zeigen, wie weit die beiden Handschriften übereinstimmen. Zum Vergleich sei auch die Stelle im Monac. graec. 3 fol. 103v col. b angeführt: (xxx)… Während Vat. und Laur. zum großen Teil wörtlich übereinstimmen, bringt der Monac. nur die allgemeinen Umrisse der Rede Palamons, allerdings mit dem gleichen Inhalt. ↩
