10.
Würdenträger, Reiche und Adelige können in freiem Willen und Ermessen ihrem Reichtum, ihrem Adel und ihren Würden entsagen und darauf Verzicht leisten, schmutzige und ärmliche Kleider, Schmach für Ehre anziehen und elend und verachtet sein. Das bleibt ihrem eigenen Willen überlassen. Ja, ich sage dir, daß die Gnade selbst die Apostel, die zum Vollmaß der Gnade gekommen, nicht gehindert hat, zu tun, was sie wollten, auch dann nicht, wenn sie hätten etwas unternehmen wollen, was der Gnade nicht gefallen. Denn unsere Natur ist für Gutes und Böses empfänglich. Die feindliche Macht kann nur reizen, aber nicht zwingen. Mithin steht es in deiner freien Selbstbestimmung, dich hinzuneigen, wo du willst. Siehst du nicht, daß Petrus „tadelnswert war“1, daß Paulus nach seiner Rückkehr [von der ersten Missionsreise nach Antiochien] ihn zurechtwies2, daß selbst ein solcher noch tadelnswert S. 235 war? Und Paulus, der geisterfüllt war, ließ sich aus eigenem Willen mit Barnabas in einen Wortstreit ein und „erbittert trennten sie sich voneinander“3. Ferner sagt derselbe [Paulus]: „Ihr Geisterfüllten weiset einen solchen zurecht; auch habe acht auf dich selbst, damit nicht auch du versucht werdest“4. Nun sieh, [auch] die Geisterfüllten werden versucht, weil eben die freie Selbstbestimmung noch bleibt und die Feinde sie bedrängen, solange sie in dieser Welt leben.
