Dreißigster Vortrag: Über die Stelle:"Und er sprach zum Engel:'Woran soll ich dies erkennen?'..." bis: "Und er winkte ihnen und blieb stumm." Lk 1,18-22
S. 170Dass die Fehler der Heiligen uns zur Auferstehung sind, dass das Schwanken der Heiligen uns zur Festigung dient, beweist der Zweifel des Priesters Zacharias, der nicht glaubt, was ihm Gott verspricht, sondern darüber hin und her sinnt; der Gottes Werk nicht im Glauben aufnimmt, sondern mit Menschenvernunft untersucht; der die Schuld für seinen Unglauben einlöst mit der langen Strafe der Stummheit. Er hatte vom Engel gehört: "Dein Gebet wurde erhört und dein Weib Elisabeth wird dir einen Sohn gebären"1 . Er aber erwiderte damals: "Woran soll ich das erkennen? Denn ich bin alt und mein Weib ist vorgerückt in ihren Tagen"2 . Hätte er nicht in demselben Maße, wie er infolge seines hohen Alters die Hoffnung auf Nachkommen verloren hatte, durch seine lange Lebenserfahrung belehrt werden müssen, dass bei Gott nichts unmöglich ist?3 . Er, der doch so lange Priester war, mußte doch gelesen haben [in den Schriften], er, der hochbetagte Hohepriester, mußte doch wissen, dass wohl die Natur, nicht aber der Schöpfer der Natur durch sein Gesetz gefesselt werden, und dass die Zeit wohl dem Menschen, nicht aber ihrem Schöpfer Vorschriften machen könne. Er wußte doch, dass aus dem durch hohes Alter erstorbenen Schoße Abrahams und Saras, nachdem, durch die Veränderung des Namens des Vaters und der Mutter die vielberufene Unfruchtbarkeit ihnen genommen worden war4 , Isaak S. 171hervorging zur großen Fruchtbarkeit des israelitischen Volkes5 , [Isaak], dem es ebensowenig geschadet hat, dass ihm das Leben fehlte, als ihm von Nutzen war seine Geburt, die er erlangte durch eine Wohltat des Schöpfers, nicht der Natur. Er [Zacharias] mußte wissen, dass Rebekka6 und Anna7 , die längst die Zeit des Gebärens überschritten hatten, längst der Hilfe der Natur entbehrten, von Gott erhielten, was die Unfruchtbarkeit ihnen versagt hatte. Und wenn er durch diese großen Wunderzeichen belehrt war, wie kommt er dazu, zu sagen: "Woran soll ich dies erkennen? Denn ich bin alt, und mein Weib ist vorgerückt in ihren Tagen"?
Brüder! Allzu zaghaft Gott gegenüber, allzu schwach den göttlichen Wundertaten gegenüber ist es des Menschen Natur. Sie erkennt sich bei einem Ereignis nicht mehr so wir vor demselben8 ; sie versteht sich selbst nicht, bis sie sich durch die Tat bewährt hat und durch Beispiele belehrt ist. Sie stürmt zum Himmel, sie strebt zur Höhe; sie erforscht das Hohe, setzt den Himmel in Bewegung, erschüttert [gleichsam] des Himmels [Gewölbe]. Aber wenn sie den Himmel erschüttert hat, vermag sie des Himmels Lasten nicht zu tragen; sie bemüht sich, den Gipfel des Glaubens zu ersteigen; sie brennt darauf, den Himmel mit eigener Kraft zu durchdringen. Aber sobald sie begonnen hat, mit menschlichem Schritt zu treten auf himmlische Pfade, sobald ihr Auge dann hernieder schaut auf ihre Natur, schwindet in demselben Maße ihr Glaube an die vorher bewiesene Kraft, wie sie nun in Ängsten schwebt wegen des drohenden Absturzes. So der hl. Petrus. Als er über das Meer hineilte, nachahmend das Wandeln des Herrn, als er als ein ungewohnter Wanderer den nachgebenden Boden mit festem Schritte betrat, flehte er schon um S. 172Hilfe aus Furcht vor dem Sturze, noch ehe er sich des Wunders erfreute9 . So auch hier Zacharias. Er hatte so lange beweint die Macht des Teufels, dass der Tod herrsche durch die Schuld eines Menschen10 , dass der Mensch geboren werde zur Arbeit, zu Mühsal, zu Gefahren; dass er unter Mühseligkeiten nur verdiente, Kinder, die dem Tode doch verfallen werden, zu wünschen, aber nicht zu erzeugen; dass er selbst stehe mitten im Kampfe der Laster, dass er belagert werde von den Bergen der Verbrechern; dass er erschüttert werde und immer erschüttert werde von dem Ansturm der Krankheiten; dass er nur aus der Ferne sehen könne das Banner der Tugenden, die Hoffnung des Gesetzes, die Freiheit der Gnade; dass aber mit eigenen Kräften keiner dorthin gelangen könne; dass er immer das Gute wolle, aber nicht tue, das Laster zwar hassen, aber nicht überwinden könne11 ; dass Gott selbst sich erbarmen müsse, dass er selbst dem so sehr Gefangenen zu Hilfe kommen müsse!
Während also dieser Hohepriester das Ohr Gottes mit so flehentlichem und klagendem Gebete andauernd bestürmte, nahm Gott, weil er so Gutes und Gerechtes erbat, aus seinem Schoße selbst den wunderbaren Beweis für seine Erhörung und gab sie ihm in seinem Sprößling; er sollte dadurch glauben, dass Gott Leben geben könne den Toten, Heilung den Verzweifelten, wenn er dem verstorbenen Greise einen Nachkommen, der verzweifelten Unfruchtbarkeit einen Sohn gegeben hätte, wie uns die Worte des Evangelisten sagen: "Dein Gebet ist erhört worden, und dein Weib Elisabeth wird dir einen Sohn gebären", den Vorboten jenes Erlösers, den Vorläufer des Heil[ande]s, der Gott nicht wie du mit seiner Stimme hören, mit seinen Seufzern nicht rühren soll. Er soll zur Erhörung nicht wie du unserer12 Bitten bedürfen, sondern da er steht in unserem Rang und selbst die Würde eines Engels genießt, soll er den Gott, der von allen Menschen so heiß ersehnt war, den S. 173niemand gesehen13 , der auch selbst den Engeln unsichtbar ist14 , mit seiner Hand umfassen, in seinem Schoße umarmen15 ; er soll ihn, sobald er ans Licht gekommen ist, der Welt freudig auf seinen Armen entgegentragen; mit seinen heiligen Händen soll er auf ihn hinweisen, mit seinen menschlichen Augen ihn schauen, ihn als Gott aller Welt verkündigen, den Herrn führen zur Gemeinschaft mit den Knechten, den Richter bringen unter die Schuldigen; er soll Zeugnis davon geben, dass der Richter selbst in seiner Person für die Schuldigen die Stellvertretung übernommen habe16 , und so beweisen, dass das Strafurteil, das über die Menschheit ergangen ist, aufgehoben sei, da er angeklagt wird, der selbst zur Sühne eilt, der die Macht hatte, die Schuldigen der Strafe zu überantworten. Und damit noch mehr leuchte das Geheimnis dieser unendlichen Liebe: Zacharias! Dein Sohn senkt seinen Herrn ein in das Taufwasser der Buße17 , er wäscht ihn ab zur Vergebung der Sünden18 . Denn die Quelle selbst sollte gewaschen werden, der Urteilsfäller selbst dem Urteil sich unterziehen, der Richter selbst die Strafe auf sich nehmen, damit er die Schuldigen nicht zu verurteilen, die Strafe nicht zu verhängen brauchte über die Frevler: er besteigt das Kreuz, er kostet den Tod, er duldet das Begräbnis, er fährt hinab zur Unterwelt, er, der lieber selbst die Strafe erleiden wollte, als andere strafen, er, der mehr geliebt als gefürchtet werden wollte.
Als Zacharias dies alles vernommen hatte, Brüder, dass er ein so großes Geheimnis zu erlangen gewürdigt sei auf sein Gebet hin, geriet er in Schrecken, als er die Sache selbst betrachtetet; er wurde bestürzt, als er über S. 174das Geheimnis nachdachte, und glaubte selbst eines so großen Verdienstes nicht würdig zu sein. Und darum zweifelte er, dass Gott zu so Hohem und zu solcher Tat sich herablassen könne. Daher sagte er: "Woran soll ich dies erkennen? Denn ich bin alt und mein Weib ist vorgerückt in ihren Tagen." Damit will er sagen: wie meine menschliche Vernunft mir nicht gestattet, anzunehmen, dass ich einen Sohn erhalte, so hindert mich [andererseits] die göttliche Majestät, zu glauben, dass Gott geboren werde und sterbe. Für diesen verzeihlichen Unglauben legte ihm der Engel eine Strafe auf, aber nur als Zeichen, nicht als eine Strafe des Unglaubens. Denn es ist doch nur ein Zeichen von Vorsicht, nur langsam zu glauben an eine Erniedrigung Gottes und noch zaghafter zu glauben an eine schmachvolle Erniedrigung Gottes. Darum fügt der Engel hinzu, indem er sagt: "Ich bin Gabriel." Aus der Größe des Namens und aus der Würde des so erhabenen Dieners sollte der Hohepriester erkennen und glauben die Glaubwürdigkeit und die Größe der Verheißung: "Ich bin Gabriel, der vor Gott steht, und ward gesandt, zu dir zu sprechen." Indem er den Namen nennt, gibt er seine Würde kund; dadurch, dass er sagt, dass er vor Gott stehe, bezeichnet er sich als dessen Abgesandten; er bekennt seine Eigenschaft als Diener, damit nicht die Nennung des Glanzes seines Namens verdunkle seine schuldige Unterwürfigkeit. "Ich bin", heißt es, "Gabriel, der vor Gott steht, und ward gesandt, zu dir zu sprechen und dir diese Botschaft zu bringen"19 . Wahrhaftig, "groß ist der Herr und seiner Weisheit ist kein Maß"20 . Den Kranken heilt er von seinen Wunden, den Zweifelnden macht er durch die Strafe stark, einen Beweis zum Glauben gibt er ihm durch die Strafe: "Und du wirst stumm sein und nicht reden können"21 . Aus dir selbst und in dir selbst sollst du haben die Richtschnur für deinen Glauben, durch persönliche S. 175Erfahrung sollst du zum Glauben kommen, dass Gott erfüllen kann, was er verheißt. Denn, wenn er will, verschließt er dir das Werkzeug deiner Stimme, und wenn er öffnen will deines Mundes Dienst, kann er es sicherlich; und wenn er fruchtbar machen will die Unfruchtbarkeit, kann er es ebenso, wie wenn er verspricht, aus einer Fruchtbaren eine Unfruchtbare zu machen; und wenn er will, dass die Zeugungskraft Leben hervorbringen will, vermag er es ebenso, wie wenn er die Dienste der Natur nicht will.
Dies also wollte der Engel bewirken, dass der Hohepriester, durch diesen Beweis belehrt, nicht mehr sagen sollte: "Woran soll ich dies erkennen?" Er, der aus dem Buche der ganzen Schöpfung hätte beweisen können, dass Gott das Kann, er, der darin hätte lesen müssen, dass er Himmel, die Erde, das Meers, und alles, was in ihnen ist, aus nichts gemacht hat22 , er hätte auch glauben müssen, dass Gott aus irgend etwas das schaffen könne, was er wolle, dass er auch dem Verzweifelten das wiedergeben könne, was er ihm versprochen; dass er, der das All gemacht hat aus dem Nichts, auch keine Mühe habe, aus dem, was da ist, zu machen, was er immer will. "Und das Volk wartete auf Zacharias, und sie wunderten sich, dass er so lange im Tempel weile. Da er aber herauskam, konnte er nicht zu ihnen sprechen, und sie erkannten, dass er eine Erscheinung im Tempel gesehen hatte. Und er winkte ihnen und blieb stumm"23 Der Hohepriester trat hinaus; an seinem Munde trägt er das Zeichen seiner Unfruchtbarkeit, in seiner Brust aber trägt er das Wunderzeichen der Empfängnis. Erst dann, wenn die Mutter den Sohn geboren, wenn das Kind seine Stimme zum erstenmal erschallen lassen würde, erst dann sollte auch der Vater das Geheimnis der Botschaft eröffnen. Eher sollte der Sohn dem Vater die Verzeihung erwirken, als abwaschen die alten Vergehungen der Völker. Weil dieser, da er nicht glaubte, verstummte, so rühmt sich mit Recht der Prophet, dass er geglaubt habe, indem er spricht:"Ich habe geglaubt, und deshalb rede ich"24 . S. 176Brüder, der Glaube gibt das Wort, der Unglaube verweigert es. Wenn uns, Brüder, also, wie ich gesagt habe, der Fehler der Heiligen zur Auferstehung ist, wenn der Zweifel der Heiligen uns zur Festigung dient, so laßt uns niemals bei Gott etwas für unmöglich halten, noch laßt uns nachforschen, wie er ausführen wird, was er verspricht. Denn er, der die Macht hat, zu wollen, hat auch die Macht, es zu vollbringen; er, der die Macht hat, zu verheißen, hat auch die Macht, es zu verleihen"
Lk 1,13 ↩
Lk 1,18 ↩
Lk 1,37 ↩
Frei übersetzt; wörtlich: "Der durch des Vaters und der Mutter Namen von der vielberufenen Unfruchtbarkeit befreit war." ↩
Gen 21,1 ↩
Gen 25,21 ↩
1 Kön 1,5-20 ↩
Das Ereignis, besonders ein großes, göttliches Werk macht den Menschen staunen über sich selbst, der Mensch sieht sich mit ganz anderen Augen an; er traut sich so etwas nicht zu; daher das Mißtrauen gegen Gott. ↩
Mt 14,29f ↩
Röm 5,12 ↩
vgl. Röm 7,19f. ↩
d. i. des Engels, der redend eingeführt ist ↩
Job 1,18 ↩
d. h. auch von den Engeln nicht in seinem Wesen begriffen wird ↩
verstehe von der Heiligung des Johannes im Mutterschoße ↩
vgl. das Wort des Täufers:"Sehet das Lamm Gottes, das hinwegnimmt die Sünden der Welt." [Joh 1,29] ↩
Mt 3,13. 17 ↩
in remissionem diluit peccatorum. Die Taufe des Johannes hat keine sündentilgende Kraft aus sich selbst. ↩
Lk 1,19 ↩
Ps 146,5 ↩
Lk 1,20 ↩
Ps 145,6 ↩
Lk 1,21f. ↩
Ps 115,1 ↩
