Zweiunddreißigster Vortrag: Über die Stelle: „Es erging das Wort des Herrn an Johannes, den Sohn des Zacharias in der Wüste...“ bis: „seid zufrieden mit eurem Solde.“ Lk 3,2-14
Nachdem durch die Pflugschar des Gesetzes und die fortwährende Beobachtung1 die Fruchtbarkeit des jüdischen Ackerlandes völlig erschöpft war, eilt der selige Johannes in die Wüste der Heiden, verbrennt das Dorngestrüpp der Laster durch das Feuer des Geistes, reißt die unfruchtbaren Bäume aus mit der Axt der Drohung, ebnet die unebenen Berge der Hoffart, füllt aus und erhebt die Täler der Niedrigkeit, vernichtet das S. 180Unkraut, glättet die ganze Oberfläche der Erde und lenkt hindurch die Wasser des befruchtenden Jordan2 . Und so schuf er für den Samen des Evangeliums neue, ausgedehnte und fruchtbare Gefilde. „Es erging“, heißt es, „das Wort des Herrn an3 Johannes, den Sohn des Zacharias, in der Wüste“4 . „Das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt“5 „Über Johannes.“ Warum nicht „an“ Johannes, sondern „über“ Johannes? Weil das, was von oben ist, überallem ist! „Es erging das Wort des Herrn über Johannes.“ Weil Johannes die Stimme, Gott das Wort ist. „Es erging das Wort des Herrn über Johannes.“ Gott ist über Johannes, der Herr über dem Knechte, das Wort über der Stimme. Aber du wirst mir entgegnen: Wie ist das möglich, dass die Stimme dem Worte vorausgeht? Sie geht ihm zwar voraus, steht aber nicht über ihm6 . Sie geht voran zum Dienste dessen, der folgt, nicht aber als Verkündigerin eigener Macht. Die Stimme selbst ist nicht der Richter, sondern nur die Botin des Richters: das Wort [selbst] richtet, die Stimme geht ihm aber verkündigend voraus. Dem Gebietenden eignet die Macht, nicht dem Rufenden! Doch das bekenne, bezeuge und versichere uns diese Stimme selbst. Der Herold selbst, der ruft:
„Der nach mir kommen wird“, heißt es, „ist mächtiger als ich“7 . Warum? Weil in mir nur ist der Schrecken, in ihm aber die Urteilsmacht. „Er kam in die ganze Gegend am Jordan“8 . Er kam an den Jordan, weil der Wasserkrug nicht mehr genügte, den jüdischen Schmutz abzuwaschen, sondern [dazu] der Fluß [nötig war], wie geschrieben steht: „Es waren da steinerne Wasserkrüge für die Reinigung der S. 181Juden“9 . „Er kam an den Jordan“, um die Büßenden mit Wasser, nicht mit Wein zu tränken. „Er kam in die ganze Gegend am Jordan und predigte die Taufe der Buße zur Vergebung der Sünden“10 . Bei Johannes gab es wohl Vergebung, aber nicht ohne Buße; wohl Sündennachlaß, aber er wurde erworben durch Tränen; die Wunde wird geheilt, aber mit Schmerz; eine Taufe war es, die die Schuld zwar beseitigen, aber das Schuldbewußtsein nicht aufheben sollte11 . Und wozu noch viele Worte? Durch die Taufe des Johannes wurde der Mensch gereinigt zur Buße, nicht aber zum Gnadenstand erhoben. Aber die Taufe Christi erneuert, wandelt, gestaltet den alten Menschen so zu einem neuen um, dass der das Vergangene nicht mehr kennt, des Alten sich nicht mehr erinnert, welcher, aus einem irdischen ein himmlischer Mensch geworden, nunmehr Himmlisches und Göttliches besitzt. Daher kommt es, dass der Vater dem aus seinem schwelgerischen Leben zurückkehrenden Sohne das beste Kleid der Unsterblichkeit wiedergibt, ihm den Ring der Freiheit anlegt, das gemästete Kalb schlachten läßt, die Wasser der Buße verwandelt in den Wein der Gnade, damit nunmehr nur noch reine Becher der Gnade, damit nunmehr nur noch reine Becher der Gnade das Mahl erquicken12 : die nüchterne Berauschung des Kelches des Herrn sollte auslöschen die Qualen des Gewissens, die Seufzer der Buße, das Wehklagen der Verbrechen nach dem Worte des Propheten: „Und dein berauschender Becher, wie herrlich ist er!“13 . Denn ebenso herrlich und schön ist die himmlische Berauschung, wie häßlich die irdische. „Daher sprach er zu dem Volke, das hinausging, um sich von ihm taufen zu lassen: 'Natternbrut, wer zeigte euch, vor dem bevorstehenden Zorn zu fliehen? Bringt also würdige Früchte der Buße und fangt nicht an zu sagen: Wir haben Abraham zum Stammvater! S. 182Denn ich sage euch: Gott kann aus diesen Steinen dem Abraham Kinder erwecken. Denn schon liegt die Axt an der Wurzel der Bäume; jeder Baum also, der nicht gute Frucht bringt, wird ausgehauen und ins Feuer geworfen werden'“14 . „Natternbrut!“ Durch den Vergleich zeigt er, durch das Gleichnis gibt er kund, durch das Bild beweist er klar, dass er nicht nur die Sitten, sondern auch die Natur selbst dieses giftigen Gezüchtes verändern könne.
„Natternbrut!“ Denn die Gott als Menschen geschaffen hatte, die Kinder Abrahams, hatte die Bosheit geboren und verwandelt in Nattern; die der Schöpfer erfüllt hatte mit der Süßigkeit der Liebe, bittere Gottlosigkeit hat sie todbringenden Geifer, Schlangengift ausgießen lassen, und sie zum unnennbaren Beweis ihrer Grausamkeit empfangen werden lassen aus dem Tode ihres Vaters, geboren werden lassen aus dem Tode der Mutter. „Natternbrut!“ Dies undankbare Geschlecht der Natur, dessen Ursprung ist der Untergang des Erzeugers, dessen Leben ist der Tod des Vaters! „Natternbrut!“ Die Schlange nimmt zur Zeit ihrer Empfängnis so erzählt man das Haupt des Männchens in ihren Mund und beißt es ab, damit sie durch diesen blutigen Kuß nicht eine Leibesfrucht, sondern vielmehr ein Verbrechen empfängt und so als Junge gebiert die Rächer ih res eigenen Frevels, nicht nach der Ordnung der Natur, sondern der Strafe. Denn die Jungen, die empfangen sind durch des Vaters Tod, fordern und verlangen eher nach Rache des Blutes als nach der Nahrung der Milch. Man sagt nämlich, dass die [jungen] Schlangen den Leib ihrer Mutter aufreißen und das verbrecherische Haus ihrer Empfängnis zerstören, wenn auch leiblich noch unreif, so doch an Wut schon überreif. Das soll ihr Leben sein, ihre Mutter, die Mutter, die solche Jungen gebiert, nicht zu sehen! Notgedrungen haben wir das Bild und die Bedeutung dieses Vergleiches, den der hl. Johannes angeführt hatte, breiter beschrieben, damit [alle erkennen, dass] S. 183es nicht eine Schmähung sei, sondern der Wahrheit entspreche, wenn die Juden von ihm so genannt würden. „Natternbrut!“ Brüder! Die Synagoge und ihre Söhne bezeichnet er als solche. Denn als Christus mit der Liebe des Gatten zu ihr gekommen war, wie Johannes sagt: „Wer die Braut hat, ist der Bräutigam“15 , wurde unter der Umarmung und unter den blutigen Küssen des Judas16 das Haupt Christi herausgefordert und durch den Mund verlangt, der da rief: „Kreuzige, kreuzige ihn!“17 . Darum bewaffnen sich diese im Blute empfangenen Kinder gleich zur Vernichtung ihrer Mutter, und zwar so sehr, dass sie den Mutterleib als Synagoge durchbrechen und auf den Ruf des Johannes hervorkommen und wiedergeboren werden zu Söhnen Gottes! „Natternbrut! Wer zeigte euch, vor dem bevorstehenden Zorne zu fliehen?“ Was ist das, „der bevorstehende Zorn“? Jener, der kein Ende hat, der den Menschen nicht vom Tode erlöst, sondern im Tode bannt, der keine Hoffnung auf Vergebung mehr fassen läßt, sobald er einmal der Strafe der Unterwelt überantwortet ist. So belehrt nun, erkennen sie ihr Geschlecht und ihr Verbrechen und antworten daher also: „Was sollen wir tun, um gerettet zu werden? Jener antwortete und sprach zu ihnen“18 Was er ihnen sagen wird, Brüder, fürchte ich mich auszusprechen, damit jener nicht [durch seine Worte] alle zu Verstockten mache, wie ich sie heute, wo sie meine Zuhörer sind, schon als Verächter genugsam sehe! Was soll ich tun? Es auszusprechen fürchte ich mich; verschweigen kann ich es nicht. Von dem einen hält mich ab die Liebe, zu dem andern treibt mich die Nützlichkeit: die Liebe nämlich, damit kein Zuhörer dadurch, dass er es verachtet, ihm verfällt; die Nützlichkeit, damit keiner in Unkenntnis bleibe über das, was er tun muß, und so der Lehrer Anstoß errege. Darum sage ich es, Brüder, damit sich S. 184einerseits, der nackt ist, bekleide, andererseits ich mich [meiner Aufgabe] entledige19 . „Wer zwei Röcke hat“, sprach er, „gebe dem, der keinen hat; und wer Speisen hat, tue desgleichen!“20 . Glaubst du, dass der zuviel verlange, der von zwei Röcken einen verlangt? Nicht zuviel verlangt er; denn er erbittet nicht einen Edelstein, sondern nur einen Rock, nicht um Gold fehlt er, sondern um Brot. Und wenn der, welcher von zwei Röcken nicht einen abgibt, schon sich schuldig macht, wie schuldig ist dann der, der von vielen den einen verweigert, der dazu noch seine Kleider verbirgt, sein Brot einschließt, so dass der Arme vor Hunger sterbe, vor Frost vergehe? Er vergräbt seine Kleider, aber legt sie nicht weg; der übergibt sie nicht der Aufbewahrung21 , sondern dem Grabe, welcher den Motten überläßt, was er den Armen verweigert; er selbst ver schlingt die Kleider seines Leibes, wie der Herr sagt: „Ihr Wurm wird nicht sterben!“22 .
Denn der Hunger des Armen hat den Christus erschüttert, der Schmerzensschrei des Menschen drang dirch bis zum Herzen Gottes; der Seufzer des Gefangenen klang hin bis zum Ohre Christi; die Verachtung des Armen floß über zur Verachtung des Schöpfers, wie dieser selbst bekennt, wenn er spricht: „Ich war hungrig, und ihr gabt mir nicht zu essen; ich war nackt, und ihr habt mich nicht gekleidet!“23 . „Es kamen auch Zöllner und sprachen: 'Was sollen wir tun?'“24 . Hören mögen es die Zöllner! „Fordert nicht mehr, als was euch bestimmt ist!“25 . Er zeigte so, was den Zöllner schuldig macht: „Fordert nicht mehr!“ Wer mehr fordert, ist ein Eintreiber des Wuchers, nicht der Steuer! Sie sollen also erkennen, wie sehr sich der vor Gott zum Schuldigen macht, der den Ermüdeten und Bedrückten auch noch S. 185der Öffentlichkeit preisgibt, der ihn durch seinen Betrug mehr und mehr noch bedrückt und ermüdet und ihm, der kaum imstande ist, die pflichtgemäße Steuer zu erlegen, auch noch Ungeschuldetes auferlegt und vermehrt. „Es kamen auch Soldaten und sprachen“26 . Auch die Soldaten sollen hören, was ihnen der Meister auf diese Frage antwortete: „Und wir! Was sollen wir tun?“ Und er sprach zu ihnen: „Brandschatzet niemand, und gebt niemand fälschlich an, und seid zufrieden mit eurem Solde“27 . Der ist ein echter Soldat, der niemanden brandschatzt, sondern verteidigt; der falsche Angaben nicht zuläßt, sondern abhält; der dient um den Sold des Königs, der nicht gierig eilt zur Beute. So lehrte der hl. Johannes göttliche Pflichten, ohne die menschlichen aufzuheben; wer lehrte die [Rechtmäßigkeit der] staatlichen Ordnung, ohne sie zu zerstören; er bewies, dass seine Lehren von Gott gegeben seien, dass sie [seine Zuhörer] auch diese beobachten könnten und so die Gerechtigkeit doch nicht zu vernachlässigen brauchten. Weil es aber einer längeren Erklärung bedarf, welcher Unterschied zwischen der Taufe des Johannes und der Taufe Christi besteht, so wollen wir darüber mit Stillschweigen hinweggehen.
des jüdischen Gesetzes ↩
verstehe von der Taufe des Johannes ↩
der lateinische Text liest super Johannem; beachte die gekünstelte Erklärung des Redners im folgenden ↩
Lk 3,2 ↩
Joh 1,14. Sicher liegt hier eine Textverderbnis vor. ↩
praecedit, sed non praecellit ↩
Mt 3,11 ↩
Lk 3,3 ↩
Joh 2,6 ↩
Lk 3,3 ↩
erat baptisma, quod culpam tolleret, conscientiam non deleret ↩
Lk 15,22f. ↩
Ps 22,5 ↩
Lk 3,79 ↩
Joh 3,29 ↩
Mt 26,49 ↩
Joh 19,6 ↩
Lk 3,10f. ↩
ut et nudus se vestiat, et ego me exuam ↩
Lk 3,11 ↩
non credit diligentiae ↩
Is 66,24; Mk 9,45 ↩
Mt 25,42 ↩
Lk 3,12 ↩
ebd 3,13 ↩
Lk 3,14 ↩
ebd ↩
