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Ich will diesem also fürs erste glauben, was er da sagt: für mich wird es der Sohn Davids sein, den Maria geboren hat; über den Sohn Gottes aber findet sich in diesem ganzen Text der „Generatio“ auch nachher kein Wort, d.h. natürlich bis zur Taufe; und ohne Grund verleumdet ihr den Schriftsteller, er habe den Sohn Gottes im Leib einer Frau eingeschlossen. In Wirklichkeit sagt er es laut und deutlich, wie mir scheint, ja er verwahrt sich geradezu schon mit der Überschrift gegen diese Gotteslästerung, indem er klarstellt, dass er in seiner Schrift den Sohn Davids, nicht den Sohn Gottes aus jenem Stamm hervorgehen liess. Was nun aber jenen Jesus betrifft, der der Sohn Gottes sein soll: wenn man sich Gesinnung und Absicht dieses Schriftstellers näher ansieht, wird klar, dass er uns nicht glauben machen will, dass dieser schon als Sohn Gottes aus der Jungfrau Maria hervorgegangen sei, sondern dass er erst nachträglich durch die Taufe am Jordanfluss dazu geworden ist (cf. Mt. 3,16 f.). Dort nämlich ist nach dem Bericht des Matthaeus der in der Einleitung als Sohn Davids bezeichnete (Mt. 1,1), durch Johannes getauft worden und so nachträglich zum Sohn Gottes geworden, nämlich nach etwa dreissig Jahren, wenn man der Angabe des Lukas folgt (cf. Luk. 3,23), wo dann auch eine Stimme gehört wurde, die zu ihm sagte (Luk. 3,22): Du bist mein Sohn; heute habe ich dich gezeugt. Du siehst also, was nach der Angabe des Lukas dreissig Jahre früher aus der Maria geboren wurde, war gar nicht der Sohn Gottes, Sohn Gottes war vielmehr, was später durch die Taufe am Jordan entstanden ist, nämlich der Neue Mensch, so wie wir glauben, dass er auch in uns ist, wenn wir uns vom Irrglauben des Heidentums zu Gott bekehren. Ob nun allerdings diese Deutung eurem Glauben, den ihr den katholischen nennt, Genüge tut, weiss ich nicht; doch - besseres Wissen vorbehalten - so stellt es Matthaeus nun einmal dar, falls die Stellen wirklich authentisch sind. Denn nirgends, wo von der Niederkunft Marias berichtet wird, liest man jenen Satz: Mein Sohn bist du, ich habe dich heute gezeugt (Luk. 3,22), oder jenen anderen: Das ist mein geliebtester Sohn, an dem ich mein Wohlgefallen gefunden habe (Mt. 3,17), sondern erst bei seinerLäuterung im Jordan. Wenn auch du das gläubig annimmst, so wie es geschrieben ist, wirst du wenigstens schon Matthaeaner sein – ich erlaube mir diese Wortbildung -, Katholik aber noch lange nicht. Den katholischen Glauben kennen wir ja; dieser ist so weit entfernt von diesem Bekenntnis des Matthaeus, wie er entfernt ist von der Wahrheit, da ja euer Glaubensbekenntnis beinhaltet, dass ihr an Jesus Christus, den Sohn Gottes glaubt, der aus der Jungfrau Maria geboren ist. Somit bekennt ihr euch zum Glauben an den Sohn Gottes von der Maria, Matthaeus an den Sohn Gottes aus dem Jordan, wir aber an den Sohn Gottes aus Gott. Und somit steht Matthaeus mit seinem Glaubensbekenntnis, falls seine Autorschaft wirklich gesichert ist, ebenso im Gegensatz zum eurigen wie zum unsrigen, ausser dass er sich als etwas klüger erweist als ihr, da er die Geburt aus dem weiblichen Geschlecht eher dem Sohn Davids zuschreibt als dem Sohn Gottes. Daher müsst ihr eins von beidem eingestehen: entweder dass Matthaeus, der als Autor dieser Darstellung gilt, es gar nicht ist, oder aber, dass ihr vom Glauben des Apostels abweicht.
