2.
Deshalb beschwöre ich Dich und treibe Dich, wie man zu sagen pflegt, im Laufen an, 1 daß Du Dich nach Deinem Lucinus wie nach einem Bruder sehnst. Du sollst Dich aber auch darüber freuen, daß er mit Christus herrscht, 2 weil er dahingerafft wurde, auf daß die Bosheit nicht seinen Sinn verderbe. Denn seine Seele war dem Herrn angenehm, und in kurzer Zeit hat er viele Jahre vollendet. 3 Uns müßte man viel mehr bedauern, die wir tagtäglich mit der Sünde im Kampfe liegen, uns, die das Laster besudelt, die wir Wunde um S. b59 Wunde empfangen und über jedes müßige Wort Rechenschaft ablegen müssen. 4 Er ist in Sicherheit. Als Sieger blickt er aus der Höhe auf Dich herab, unterstützt Dich in Deinem Bemühen und bereitet Dir in seiner Nähe eine Stätte mit der gleichen Liebe und Anhänglichkeit, die er Dir bereits auf Erden als seiner Schwester entgegenbrachte, nachdem er auf seine ehelichen Rechte verzichtet hatte. Ja, man konnte Dich selbst seinen Bruder nennen; denn eine keusche Verbindung weiß nichts von Geschlecht und Ehe. Wenn wir aber nach unserer Wiedergeburt in Christus, mögen wir auch noch im Fleische wandeln, weder Grieche noch Barbar, weder Knecht noch Freier, weder Mann noch Frau, sondern alle in ihm eins sind, 5 um wieviel mehr wird dies zutreffen, wenn dies Vergängliche die Unvergänglichkeit und das Sterbliche an uns die Unsterblichkeit angezogen hat? 6 Sie werden weder heiraten noch geheiratet werden, sondern sie werden sein wie die Engel im Himmel. 7 Wenn die Schrift sagt: „Sie werden nicht heiraten noch geheiratet werden, sondern sie werden sein wie die Engel im Himmel“, so soll damit nicht die Natur und Wesenheit des menschlichen Leibes aufgehoben werden, sondern der Heiland will auf die Größe unserer Herrlichkeit hinweisen. Es heißt ja nicht: „Sie werden Engel sein“, sondern „sie werden wie die Engel sein“. 8 Versprochen wird nur die Ähnlichkeit mit den Engeln, aber von einer Verwandlung in Engel ist nicht die Rede. Sie werden wie die Engel sein, 9 bedeutet: „Sie werden den Engeln ähnlich sein.“ Sie werden also keineswegs aufhören, Menschen zu sein. Wohl werden sie verklärt werden und im himmlischen Glanze wie Engel leuchten, aber sie werden Menschen bleiben, so daß der Apostel ein Apostel und Maria Maria bleibt. Weg mit der S. b60 verderblichen Irrlehre, 10 die unsichere und phantastische Versprechungen macht, dafür uns ein bescheideneres Glück raubt, das aber wenigstens den Vorteil der Sicherheit hat.
Cicero, De orat. II 44, 186 u. ö. ↩
Offenb. 20, 4. 6. ↩
Weish. 4, 11. 14. 13. ↩
Matth. 12, 36. ↩
Gal. 3, 27 f. ↩
1 Kor. 15, 53 f. ↩
Matth. 22, 30; Mark. 12, 25. ↩
Ebd. ↩
Ebd. ↩
Hieronymus greift hier die Lehre des Origenes an, der die Identität des Auferstehungsleibes mit dem diesseitigen Leibe leugnete, sondern sich für die Auferstehung eines verwandelten Leibes einsetzte, an dem sich nichts Fleischliches mehr findet. Nur gewisse Eigentümlichkeiten und Formen des ursprünglichen Leibes bleiben nach ihm, während die Materie selbst mit dem Tode des Menschen zum Urstoff zurückkehrt (B. II 173). Gegen Ende des 4. Jahrhunderts wurde der Kampf gegen diese Irrlehre wieder aktuell. Auch Bischof Johannes von Jerusalem, ein eifriger Origenist, vertrat ähnliche Auffassungen, die Hieronymus eingehend bekämpft (c. Joh. 23—35 s. M PL XXIII 390 ff.). ↩
