3.
Weil gerade von Irrlehren die Rede ist, so kann keine noch so laute, noch so beredte Anerkennung ausreichen, um des Lucinus Verdienste in würdiger Weise herauszuheben. Als die garstige Irrlehre des Basilides 1 über ganz Spanien sich hinwälzte und gleich einer Pest und Seuche alle Provinzen zwischen den Pyrenäen und dem Ozean verheerte, da hielt er an dem reinen Kirchenglauben fest. Er wollte nichts wissen von Armazel, Barbelon, Abraxas, Balsamus und von dem lächerlichen Leusiboras und all den anderen phantastischen Bezeichnungen. 2 Mit diesen wollten die Ketzer Eindruck machen S. b61 auf die Dummen und auf gewisse Weiblein. Man gab vor, diese Ausdrücke seien dem Hebräischen entnommen und hoffte, mit dem fremden Klang einfältige Gemüter zu schrecken, die ja am meisten das anstaunen, was sie nicht verstehen. Vernehmen wir den Bericht des Irenäus, 3 eines Mannes aus der Zeit der Apostel und eines Schülers des Papias, 4 der noch den Evangelisten Johannes gehört hat! Irenäus also, der Bischof der Kirche von Lyon, erzählt, daß ein gewisser Markus, der zur Sippe des Gnostikers Basilides gehörte, zuerst nach Gallien kam und mit seiner Lehre die Gebiete verseuchte, durch welche die Rhone und die Garonne fließen. Besonders verführte er mit seiner Irrlehre vornehme Frauen, denen er verborgene Geheimnisse zu enthüllen versprach. S. b62 Durch Zauberkünste und im Verborgenen geübte Unsittlichkeit machte er sie sich gefügig. Dann überschritt er die Pyrenäen, um in Spanien festen Fuß zu fassen. Sein Plan ging dahin, Einlaß zu finden in die Häuser der Reichen und sich dort besonders an die Frauen heranzumachen, die nach der Schrift von allerlei Begierden getrieben immer lernen und nie zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen. 5 So berichtet Irenäus vor beiläufig 300 Jahren 6 in seinem Buche „Gegen alle Ketzereien“, das er unter Aufwand vielen gelehrten Stoffes und sprachlich äußerst geschickt verfaßt hat.
Gemeint ist der Priszillianismus, dessen Ursprung von seinen Gegnern auf den Gnostizismus zurückgeführt wird. Der hier erwähnte Gnostiker Basilides, ein Zeitgenosse Hadrians, wollte seine Geheimlehre von den Aposteln Petrus und Matthias erhalten haben. ↩
Alle diese Eigennamen dürften gnostischen Systemen entnommen sein. Armazel oder Harmozel (Ormuzd?) ist bei den barbeliotischen Gnostikern eine Bezeichnung für den Heiland (Irenäus, Adv. haer. I 29, 2 f.; BKV Irenäus I 82). Bei der gleichen Sekte ist Barbelo (vielleicht aus בַעַל בַר „Sohn des Herrn“) ein im jungfräulichen Geiste wohnender, nie alternder Aeon, die ἔννοια (Irenäus, Adv, haer. I 29, 1 f.; BKV Irenäus I 81 f.). Basilides nahm 365 Himmel an, deren Vorsteher Abraxas hieß. Nach ihm hatte der Mensch auch 365 Glieder. Man fand Steine mit der Inschrift Ἀβράξας, deren Buchstaben in ihrer Summe den Zahlenwert 365 ausmachen (Irenäus, Adv. haer. I 24, 5. 7; BKV Irenäus I 74). Diese sogenannten Abraxasgemmen enthalten mythisch-mystische Darstellungen und dürften als Amulette gedient haben. In Balsamus könnte uns der phönizisch-punische Gott Beelsamen (Herr der Sonne, שֶׁמָשׁ בָעָל), den auch Plautus kennt (Poenulus 1036), entgegentreten. Unerklärt bleibt der Name Leusiboras, der vielleicht mit dem großen Licht gleichzusetzen ist, das Irenäus erwähnt (Adv. haer. I 29; BKV Irenäus I 82). ↩
Irenäus von Lyon (geb. um 140) behandelt eingehend die Lehre des Markus, eines Schülers des Gnostikers Valentinian (Adv. haer. I 13 ff.; BKV Irenäus I 40 ff.). Er erwähnt wiederholt, daß Markus in unsauberer Weise auf die Frauen Einfluß zu gewinnen suchte. Besonders „in unserer Gegend am Rhonefluß“ wurden viele Weiber betrogen (Adv. haer. I 13, 7; BKV Irenäus I 43). Jedoch von einer Reise des Markus nach Gallien und Spanien spricht Irenäus nicht. Hieronymus verwechselt hier wie auch im Kommentar zu Isaias (zu 64, 4 f. s. M PL XXIV 646 f.) den Valentinianer Markus mit einem anderen Gnostiker Markus, der im 4. Jahrhundert aus Ägypten über Gallien nach Spanien kam, wo er eine vornehme Frau mit Namen Agape und den Rhetor Elpidius für sich gewann. Diese beiden wurden dann die Lehrmeister Priszillians. ↩
Papias war im 2. Jahrhundert Bischof von Hierapolis in Phrygien. An seinen Namen knüpft sich die bekannte Streitfrage um die beiden Johannes (Apostel und Presbyter) an. ↩
2 Tim. 3, 6 f. ↩
Es sind ungefähr 200 Jahre. ↩
