2.
Am Schlusse Deines Briefes stellst Du die Frage, warum ich in meinen Werken zuweilen Beispiele aus der weltlichen Literatur anführe und so den Glanz der Kirche durch den Schmutz des Heidentums besudle. Darauf sollst Du eine kurze Antwort erhalten. Du hättest Deine Frage nicht gestellt, wenn Du nicht ganz und gar im Tullius aufgehen würdest, sondern die heiligen Schriften läsest, wenn Du einmal den Volcatius 1 beiseitelegen möchtest, um Dich mit denen zu beschäftigen, welche sie erklärt haben. Wer wüßte nicht, daß die Bücher Moses und der Propheten allerlei aus heidnischen Schriften anführen? Daß Salomon den Weltweisen zu Tyrus eine Reihe von Fragen vorlegte und den ihrigen Rede und Antwort stand? 2 Deshalb ermahnt er uns auch zu Beginn seines Spruchbuches, daß man die klugen Reden und die mehrdeutigen Worte, die Parabeln und allegorischen Sprüche, die Sentenzen und Rätsel der Weisen zu verstehen trachten solle. 3 Was kann er da anderes im Auge haben als die Darlegungen der Dialektiker und Philosophen? Auch der Apostel Paulus hat einen Vers des Dichters Epimenides 4 angeführt, wo er an Titus schreibt: „Die Kreter sind immer Lügner, schlimme Bestien und faule Bäuche.“ 5 Die Hälfte dieses Hexameters hat dann später S. b290 Kallimachus benutzt. 6 Wenn die lateinische Übersetzung bei wörtlicher Wiedergabe das Versmaß nicht wahrt, so ist dies weiter nicht auffallend, 7 da ja auch eine Prosaübersetzung Homers in die gleiche Sprache kaum einen Zusammenhang ergäbe. Auch in einem anderen Briefe zitiert Paulus einen Senarius des Menander: 8 „Schlechte Reden verderben gute Sitten.“ 9 Wo der Apostel zu Athen in der Kurie des Mars 10 auftritt, beruft er sich auf Aratus 11 als Zeugen, wenn er sagt: „Wir sind von seinem Geschlechte.“ 12 Der griechische Text lautet: „τοῦ γὰρ καὶ γένος ἐσμέν“; er bildet den Abschluß eines Hexameters. Aber hierbei bleibt der Führer des christlichen Heeres und der unbesiegte Anwalt Christi nicht stehen. Wo er dessen Sache führt, preßt er aus einer Inschrift, die er zufällig an einem Altare wahrnimmt, ein Zeugnis im Dienste des Glaubens heraus. 13 Denn er hatte von dem wahren David gelernt, den Gegnern die Waffen aus ihren Händen zu entwinden und das Haupt des stolzen Goliath mit dessen eigenem Schwert abzutrennen. 14 Im Deuteronomium hatte der Apostel das Gebot des Herrn gelesen: „Einem gefangenen Weibe sollst du das Haupthaar abrasieren, die Augenbrauen, alle Haare und Nägel am Körper S. b291 sollst du abschneiden; dann erst magst du sie zur Ehe nehmen.“ 15 Ist es da so merkwürdig, wenn ich die weltliche Weisheit wegen der Gefälligkeit des Ausdruckes und der Schönheit der Glieder aus einer Magd und Gefangenen in eine wahre Israelitin umzuwandeln trachte? Ist es so unbegreiflich, wenn ich alles, was an ihr tot ist, den Götzendienst, die Sinnlichkeit, den Irrtum, die Begierlichkeit vorher abschneide oder wegrasiere, um dann in Vereinigung mit dem gereinigten Körper dem Herrn der Heerscharen aus ihr Kinder des Landes zu erzeugen? Meine Arbeit kommt der Familie Christi zugute, die vermeintliche Schändung einer Fremden vermehrt die Zahl ihrer Anhänger. Osee nimmt die Tochter Debelaims, d.h. der Süßigkeiten, zum Weibe, und aus der Buhlerin wird ihm der Sohn Jezrael, was „Same Gottes“ bedeutet, geboren. 16 Isaias schert mit frisch geschärftem Messer den Sündern Bart und Schenkel. 17 Ezechiel schneidet zum Mahnzeichen für das ehebrecherische Jerusalem sein eigenes Haupthaar ab, 18 damit er alles an seiner Person entferne, was ohne Gefühl und Leben ist.
L. Volcatius Tullus hat einen Kommentar zu Ciceros Reden geschrieben (c. Ruf. I 16—M. PL XXIII 428). Da er nach Plinius, Hist. nat. VIII 40 den Cascellius das Zivilrecht lehrte, dürfte er Jurist gewesen sein. ↩
Flavius Josephus, Contra Apionem I 17. ↩
Sprichw. 1, 1 ff. ↩
Vgl. S. 229 Anm. 6. ↩
Tit. 1, 12. ↩
Hymn. I 8. Kallimachus war ein berühmter Elegiker und Grammatiker (ca. 300—230 v. Chr.), den Ptolemäus Philadelphos zum Vorsteher der königlichen Bibliothek zu Alexandria machte. ↩
Das biblische Zitat ist ein echter Hexameter: „Κρῆτες ἀεὶ ψεῦσται, κακὰ θηρία, γαστέρες ἀργαί“. ↩
Menander (341—290 v. Chr.), der bedeutendste Dichter der neueren griechischen Komödie, ist nur in Bruchstücken erhalten. ↩
1 Kor, 15, 33. Das biblische Zitat ist ein jambischer Trimeter. ↩
Der Areopag. ↩
Der Kilikier Aratos aus Soloi (ca. 310—240 v. Chr.) hinterließ ein hexametrisches Lehrgedicht „Φαινόμενα καὶ Διοσημεῖα“ (von Cicero ins Lateinische übersetzt vgl. De nat. deor. II 41, 104), dem die Stelle entnommen ist. (Φαίν. 5.). ↩
Apg. 17, 28. ↩
Ebd. 17, 23. ↩
1 Kön. 17, 51. ↩
Deut. 21, 11 ff. ↩
Osee 1, 2 ff. Hieronymus leitet die Namen ab von דְּבַלָה (Feigenkuchen) bzw. von אֵל יִזְרַה (Gott wird erzeugen). ↩
Is. 7, 20. ↩
Ezech. 5, l. ↩
