Achter Artikel. Unter allen, die uns irgendwie nahe stehen, sind speciell die Blutsverwandten mehr zu lieben.
a) Dagegen wird geltend gemacht: I. Prov. 18. heißt es: „Ein befreundeter Mann ist für die Gesellschaft mehr wert als Freund, wie ein Bruder.“ Desgleichen sagt Valerius Maximus (lib. 4. c. 7.): „Das Band der Freundschaft ist stark; es steht nicht zurück hinter dem des Blutes. Dieses Band ist zuverlässiger, mehr durch Erfahrung gefestigt, wie jenes, was vom Zufalle der Geburt abhängt; denn der freie Wille knüpft es auf Grund gereiften Urteils.“ II. Ambrosius (1. Off. 7.) schreibt: „Nicht minder liebe ich euch, die ich im Evangelium gezeugt habe, als wenn ihr meine leiblichen Kinder wäret; denn nicht ist die Natur stärker in der Liebe wie die Gnade. Mehr müssen wir jene lieben, von denen wir annehmen, sie werden unsere Genossen in der Ewigkeit sein, als jene, die nur in dieser Zeit unsere Genossen sind.“ III. „Das Werk ist der Probierstein der Liebe,“ sagt Gregor. (30. in Evg.) Manchen aber müssen wir mehr Werke der Liebe erweisen wie den Blutsverwandten; wie z.B. dem Feldherrn im Heere mehr gehorcht werden muß wie dem Vater. Also sind die Blutsverwandten speciell als solche nicht in höherem Grade zu lieben. Auf der anderen Seite schreibt Gott in den zehn Geboten speciell vor, die Eltern zu ehren.
b) Ich antworte, der Grad in der Stärke des Liebesaktes komme von dem liebenden. Also nach der verschiedenartigen Verbindung mit dem liebenden ist zu beurteilen der verschiedene Grad der Liebe im thätigseienden. Deshalb muß zuerst die eine Art der Verbindung gegen die andere abgewogen werden; und dann im Bereiche jeder Verbindung das, was dem liebenden näher steht. So nun müssen wir sagen, die Blutsverwandtschaft beruhe auf der Verbindungskraft des natürlichen Ursprunges; die Freundschaft unter Mitbürgern auf der bürgerlichen Gemeinschaftlichkeit; die Freundschaft unter Soldaten auf der Kriegskameradschaft. Was also die Verbindung auf Grund der Natur angeht, so müssen wir mehr lieben die Blutsverwandten; im Bereiche des bürgerlichen Lebens mehr die eigenen Mitbürger; und im Bereiche des Militärischen mehr die Kriegskameraden. Somit sagt Aristoteles mit vollem Grunde (9 Ethic. 2.): „Dem einzelnen muß, was jeglichem eigens entspricht und zukommt, zugewiesen werden. Und so thut man es auch. Denn zur Hochzeit laden sie die Verwandten ein; den Eltern gegenüber aber gebührt es sich, ihnen Nahrung zu reichen und sie zu ehren.“ Vergleichen wir aber die eine Art Verbindung mit der anderen, so steht ohne Zweifel jene auf Grund des natürlichen Ursprunges höher; denn sie ist die erste und unbeweglichste und betrifft die Substanz selber. Die anderen treten erst hinzu und können auch wieder entfernt werden. Die Freundschaft der Blutsverwandten also ist dauernder; die anderen können aber gemäß dem hervorragen, was einer jeden eigen ist.
c) I. Weil die Freundschaft mit Genossen auf eigener Wahl beruht, so stimmen wir im Bereiche unseres Thätigseins mit ihnen mehr überein wie mit den Blutsverwandten; und danach steht diese Art Freundschaft höher. Die Blutsverwandtschaft aber ist dauerhafter, weil der Natur selber entsprechender und wiegt in Allem vor, was auf die Natur sich bezieht, so daß wir Blutsverwandten gegenüber im höheren Grade gehalten sind, für das ihnen Notwendige zu sorgen. II. Ambrosius spricht von den Wohlthaten, die dem Bereiche der Gemeinschaft in der Gnade angehören, nämlich vom Unterrichte in guten Sitten. Denn mit Bezug darauf muß der Mensch mehr seinen geistigen Kindern beistehen, wie leiblichen Kindern; für die er wieder mehr sorgen muß im körperlich Notwendigen. III. Gemäß der Kriegskameradschaft nur wird der Vater minder geliebt wie der Feldherr.
