Zehnter Artikel. Die richtige Mlitte, wie sie außen unabhängig von der geschöpflichen Vernunft in den Dingen liegt, ist auch die richtige Mitte der Gerechtigkeit.
a) Dies wird bestritten. Denn: I. Die Art wird ihrem Wesen nach in allen Gattungen gewahrt. Die moralische Tugend aber im allgemeinen wird definiert als „ein Zustand, der da zu wählen berufen ist gemäß der von der Vernunft bestimmten richtigen Mitte mit Bezug auf die eigene Person.“ Also gilt dies auch von der Gerechtigkeit. II. Was schlechthin gut ist, darin ist kein Mehr und kein Minder und somit auch keine Mitte. (2 Ethic. 6) Die Gerechtigkeit aber ist schlechthin gut. Also besteht da keine richtige Mitte von den Sachen aus. III. Mit Rücksicht auf die verschiedenen Personen nimmt man in den anderen Tugenden eine richtige Mitte an; denn „was für den einen viel ist, das ist wenig für den anderen.“ (l. c.) Dies ist aber auch bei der Gerechtigkeit der Fall. Denn mit einer anderen Strafe wird jener gezüchtigt der einen Fürsten schlägt, als jener der eine Privatperson schlägt. Also ist da “keine richtige Mitte von den Dingen aus. Auf der anderen Seite steht Aristoteles (2 Ethic. 7.), der die von der Gerechtigkeit eingehaltene rechte Mitte nach der arithmetischen Proportion zu bestimmen lehrt; was dasselbe ist wie die rechte Mitte von den Dingen ausgehen lassen.
b) Ich antworte, die anderen moralischen Tugenden regeln in erster Linie die inneren Leidenschaften, daß nämlich der Mensch begehre und abwehre, wie es sich gebührt, mit Rücksicht auf die eigene Person gemäß den verschiedenen Umständen. Deshalb ist da die rechte Mitte von der Vernunft aus mit Rücksicht auf unsere Person bestimmt. Der Gegenstand der Gerechtigkeit aber ist die Wirksamkeit nach außen hin, insoweit dieselbe oder die Sache, um deren Gebrauch es sich handelt, im gebührenden Verhältnisse steht, nicht zur eigenen Person, sondern zu einer anderen. Also besteht jene rechte Mitte, welcher die Gerechtigkeit zu folgen hat, in dem Gleichmaße des Verhältnisses zwischen der außen befindlichen Sache und der außen befindlichen Person. Das Gleiche aber liegt in der Mitte zwischen Mehr und Minder. Also liegt die rechte Mitte für die Gerechtigkeit außen in den Dingen.
c) I. Diese rechte Mitte wird erfaßt von der Vernunft; und somit bleibt gewahrt das Wesen der moralischen Tugend. II. Schlechthin gut ist etwas, 1. was allseitig gut ist, wie die Tugenden; und da giebt es keine Mitte und kein Äußerstes; — 2. was seiner Natur nach gut ist, aber gemißbraucht werden kann, wie die Ehre, der Reichtum; und da giebt es ein „zu viel“, eine Mitte und ein „zu wenig“, mit Rücksicht auf die Menschen nämlich, die guten oder schlechten Gebrauch davon machen; auf Solches bezieht sich die Gerechtigkeit. III. Die Mißhandlung hat ein anderes Verhältnis zum Fürsten wie zur Privatperson; und somit kann die Vergeltung durch die Strafe nicht gleichmäßig sein. Das gehört zur rechten Mitte, wie sie in den äußeren Dingen liegt.
