14. Victor I. (192 – 202)
(v. J. 192—202, nach And. 189—199).1 S. 271
Wie Eusebius (H. E. I. 5. c. 32) berichtet, hat Papst Victor den Ebioniten Theodotus excommunicirt; nemlich, seines Zeichens zwar ein Gerber, aber nicht ohne wissenschaftliche Bildung, war von Byzanz, wo er bei einer Verfolgung Christum verleugnet hatte, um den Vorwürfen der Christen zu entgehen, nach Rom geflüchtet, wo er unbemerkt zu bleiben hoffte; allein auch hier erkannt und wegen seines Falles zur Rede gestellt, vertheidigte er sich mit Antwort: „er habe nicht Gott, sondern einen Menschen (Christum) verleugnet;" seine Verurtheilung soll nach dem Synodicon auf einer vom Papste gefeierten Synode geschehen sein, was aber unsicher ist; nach demselben Synodicon waren auf einer anderen unter Victor gehaltenen römischen Synode auch Sabellius und Noëtus ausgeschlossen worden, was aber entschieden falsch ist, da Sabellius erst unter Callistus ercommunicirt wurde.2Wenn Tertullian in eigener Angelegenheit Glauben verdient, so paßt seine Erzählung von einem Papste, welcher den Montanisten schon Friedensbriefe zudachte, dieselben aber, von Praxeas über deren Irrlehren und Treiben in Asien belehrt, zurückgezogen habe, am besten auf Victor. Das war von jeher fast allgemeine Ansicht und ist erst von Hagemann,3 dem Schrödl4folgte, S. 272 aufgegeben worden, um seine Hypothese von der Identität des Praxeas und Callistus plausibel zu machen; Reiser5 beweist gegen diese Annahme, daß Praxeas vor Tertullian's Abfall zum Montanismus, welcher allgemein in die ersten Jahre des P. Zephyrin gesetzt wird, in Rom gegen den Montanismus kämpfte, also spätestens untere P. Victor.
Am meisten beschäftigte den Papst Victor die Feier des Osterfestes. Wie schon erwähnt, gab die von Anfang her zwischen dem Abendlande und einem großen Theile des Morgenlandes einerseits und dem proconsularischen Asiens und „den benachbarten Provinzen" d. i. Mesopotamien, Syrien und einem Theile von Cilicien andererseits in der Feier des Osterfestes herrschende Verschiedenheit schon Anlaß zu mündlichen Erörterungen zwischen dem Papste Anicetus und dem Bischofe Polykarpus; doch blieb, obgleich jeder Theil seine Observanz beibehielt, der Friede aufrecht und kam es, obwohl die Sache auch unter Anicets Nachfolgern nicht zu ruhen schien, doch erst jetzt zu ernstem, erbittertem Streite. Bevor wir diesen selbst besprechen, wollen wir uns in Kürze den Unterschied zwischen der allgemeinen und der besonderen (kleinasiatischen, quartodecimanischen) Observanz klar machen. Die große Mehrheit der Kirchen feierte, an dem Wochentage des Erlösungstages festhaltend, das Andenken an die glorreiche Auferstehung des Herrn stets am Sonntage nach dem 14. des Monates Nisan, das Andenken an den Erlösungstod Christi am vorausgehenden Freitage und nannte auch diesen Tag Pascha;6 S. 273 denn Christus starb am Freitage und erstand am Sonntage; dieser Praxis entsprechend dauerte das feierliche Fasten bis zum Auferstehungsmorgen; die Kleinasiaten aber begingen, den Monatstag festhaltend, stets am 14. Nisan, an welchem Christus nach ihrer Meinung das Paschamahl aß und sein Leiden begann, nicht nur das feierliche Andenken an die Einsetzung des Abendmahles, sondern auch, da sie, wie Polykrates im Briefe an Victor sagt, nur einen Festtag für Pascha hatten, zugleich die Erinnerung an den Erlösungstod und dessen Vollendung und Krönung durch die Auferstehung, indem sie feierliche Agapen und Communion hielten. Die Differenz zwischen beiden Observanzen war demnach eine dreifache: 1) hatten die Quartodecimaner ihr Paschafest an jedem beliebigen Wochentage, auf welchen der 14. Nisan fiel, die übrigen Christen am Freitag, resp. Sonntag, nach dem14.Nisan; 2) feierten jene nur einen Paschatag, diese aber zwei; und 3) endete bei ihnen das Fasten schon am 14. Nisan, während die Übrigen dasselbe nach dem ersten Paschatage fortsetzten bis zum Ostermorgen. Die Quartodecimaner führten ihre Praxis auf die Apostel Johannes und Philippus zurück; ob mit Recht, ist nicht mehr zu ermitteln; was Polykrates über jene zwei Apostel sagt, klingt jedensalls fabelhaft; demungeachtet war ihre Praxis gewiß uralt. Ihre Gegner beriefen sich auf die von den Apostelfürsten herrührende, continuirliche Praxis. Aus dem Gesagrten ergibt sich auch, daß es sich bei dem ganzen Streite nicht um etwas Principielles und Dogmatisches handelte, sondern um etwas rein Disciplinäres, um „Ausserliches" (wie Irenäus sagt), um die Zeit für das Fest; daß auch das Alterthum so dachte, wird der weitere Verlauf des Streites zeigen. Die Geschichte des Streites selbst ist folgende: Papst Victor wollte die quartodecimanische Praxis nicht mehr dulden und schrieb deßhalb nach der Chronikdes Hieronymus im J. 196 an die vornehmsten Bischöfe aller Gegenden, daß sie in ihren Provinzen Synoden versammeln und durch diese die abendländische Paschaweise einführen sollten; in einigen Schreiben z. B. an Polykrates S. 274 von Ephesus waren auch Drohungen für den Fall Weigerung enthalten. „Deßhalb", erzählt Eusebius I. 5, c. 23), „wurden Synoden und Bischofsversammlungen gehalten, und alle stellten einstimmig die Regel auf, daß man an keinem anderen Tage als am Sonntag das Geheimniß der Auferstehung des Herrn von den Todten feiern und die Paschafasten beendigen dürfe. Noch jetzt hat man das Schreiben der in Palästina versammelten Bischöfe, an deren Spitze Theophilus von Cäsarea Palästinä und Narcissus von Jerusalem standen.7 Ein zweiter noch vorhandener Brief ist der der römischen Synode, dem der Name Victors vorangestellt ist. Ausserdem gibt es noch Briefe von Pontus unter Bischof Palamas und der gallischen Kirchen, denen Irenäus vorstand, ebenso solche deren von Osrhoene und auch des Bischofs Bacchyllus von Corinth und viel Anderen, welche alle dieselbe Ansicht vortrugen und die gleiche Sentenz fällten." Hierauf (HE. I. 5, c. 24) theilt Eusebius die ablehnende Antwort des Polykrate mit. Auf diese hin wollte Victor, wie Eusebius fortfährt, die Bischöfe von ganz Asien (Asia proconsularis) und der Nachbarschaft aus der Gemeinschaft ausschließen und erließ deßhalb viele Briefe; aber Dieß gefiel nicht allen Bischöfen, und mehrere ermähnten ihn, friedfertiger zu sein. Noch jetzt, sagt Eusebius, existiren solche Briefe; sofort theilt derselbe ein großes Stück aus dem (jetzt verlorenen) Briefe des Irenäus an Victor mit.8 Ob der Papst in Folge der Vorstellung des Irenäus die Strafsentenz zurückgenommen habe oder nicht, ist nirgends gesagt, wie es überhaupt zweifelhaft ist, ob er dieselbe vorher schon wirklich ausgesprochen oder angedroht habe; das Wahrscheinlichere aber ist, daß er einst- S. 275 weilen die Sonderpraxis der Kleinasiaten noch duldete, um so mehr, als eine neue Verfolgung durch Kaiser Severus ausbrach. Später aber drang dennoch Victors Forderung durch, indem auf dem Concil zu Arles (314) und besonders zu Nicäa (325) die Feier des Osterfestes am Sonntage nach dem 14. Nisan für Alle angeordnet wurde.
Von dieser so lebhaften und zweimal zwischen dem Papste und allen vorzüglicheren Bischöfen der Kirche gewechselten Correspondenz ist uns aber Nichts erhalten, als was Eusebius in seine Kirchengeschichte aufgenommen hat, nemlich ein Theil von dem Briefe des Polycrates an Victor und ein Bruchstück aus dem Schreiben des Irenäus an Victor; ob ein drittes von Pfaff aufgefundenes Fragment, welches auch vom Paschastreite handelt, dessen Briefe an den Papst angehört, ist zweifelhaft. Ausserdem berichten Eusebius und Hieronymus, Victor habe mehrere kleinere Schriften verfaßt, darunter eine über die Paschafeier, und Hieronymus fügt hinzu, Papst Victor und der Senator Apollonius seien die ersten kirchlichen Autoren gewesen, die lateinisch geschrieben; leider sind auch alle diese Schriften verloren gegangen, und die vier Briefe, die jetzt den Namen Victors tragen, sind unecht; zwei derselben stammen aus der Officin Pseudoisidors. Das Pontificalbuch endlich theilt ihm ein Decret über die Taufe zu. S. 276
Sein Fest ist am 28. Juli. ↩
Hefele I. S. 103. ↩
Röm. Kirche S. 234 ff. ↩
Gesch. d. Päpste S. 184. ↩
Tübing. Quartalschr. 1866 S. 384. ↩
Schon Tertullian unterscheidet den dies paschae, quo communis est et quasi publica jejunii religio et merito deponimus osculum (sc. pacis) d. i. den Charfreitag und den dies paschae, von welchem an man bis Pfingsten die Kniee nicht mehr beugt, d. i. den Ostersonntag (de corona c. 3); etwas später bezeichnete man diese zwei Tage als πάσχα σταυρώσιμον und ἀναστάσιμον. ↩
Dieselben bezeugten zugleich die Übereinstimmung der alexandrinischen Kirche in diesem Punkte. ↩
Hefele I. S. 87—101. ↩
