2. Verordnungen.
Aus Hippolyts Philosophumenen gelangen wir weiter zur Kenntniß von mehreren, höchst weisen und bedeutungsvollen Anordnungen des Papstes Callistus; seit seiner Verurtheilung durch den Papst von blinder Leidenschaft und Erbitterung gegen denselben erfüllt, vermag er in jeder einzelnen Handlung desselben nur einen Angriff gegen Dogma und Disciplin der Kirche zu sehen und macht ihm aus jeder nachdem er sie gehörig entstellt und verdreht hat, eben so viele und schwere Vorwürfe; solcher nun zählt Döllinger1sieben auf und entwickelt in treffender Weise die ihnen zu Grunde liegenden Verordnungen des Papstes.
1. Zunächst beschuldigt Hippolyt den Papst, daß er der Erste gewesen sei, welcher den Grundsatz der uneingeschränkten Sündenvergebung aufgestellt habe und damit den Christen freiere Befriedigung ihrer Leidenschaften habe einräumen wollen. Hieraus lernen wir zunächst, daß Hippolyt auf Seite des montanistischen Rigorismus des Tertullian getreten sei, wie auch Tertullian den Ditheismus des Hippolyt adoptirte, dann aber auch die diese Beschuldigung veranlassende Thatsache, daß der Papst Callistus auf den Vorwurf der Inconsequenz, welchen Tertullian gegen das Bußedict Zephyrin's erhoben, und auf die weitere consequente Ausdehnung2der montanistischen Irrlehre von der Nichtvergebbarkeit der Unzuchtssünden auch auf die Sünden der Idololatrie und des Mordes mit der ausdrücklichen Ausdehnung der kirchlichen Schlüsselgewalt auf alle Sünden geantwortet habe, welche schon sein Vorgänger als eine allgemeine definirt, jedoch speciell daraus nur die Vergebbarkeit der Unzuchtssünden gefolgert hatte. Diesen Fortschritt oder consequente Fortbildung des Montanismus durch Tertullian gibt auch Dr. Probst zu, Sacram. S. 323. S. 315
2. Callistus begnügte sich nicht damit, die Gewalt der Kirche, alle Sünden vergeben zu können, dogmatisch und im Principe definirt zu haben, er wendete dieselbe auch in concreten Fällen practisch an; so erklärte er: „Alle, welche bisher einer christlichen Secte oder getrennten Gemeinde angehörig sich zur katholischen Kirche wendeten, sollten sofort aufgenommen werden, ohne daß sie wegen der etwa in der früheren Gemeinschaft begangenen Sünden zur öffentlichen Buße angehalten würden.„ Diesen Vorgang, der sich bei Solchen, welche bisher die katholische Kirche nicht kannten und entweder von Geburt an oder seit ihrer Bekehrung vom Heiden- oder Judenthume einer christlichen Secte angehörten, von selbst ergab und von jeher gehandhabt wurde, welchen Callistus aber wahrscheinlich auf reuig rückkehrende Abtrünnige ausdehnte, macht Jenem nur deßhalb zum Vorwurfe, weil, wie er gesteht. Viele seiner Anhänger ihn verließen und zu Callistus' Schule (d. h. zur katholischen Kirche) zurückkehrten.
3. Hippolyt beschuldigt ferner den Papst, daß er gelehrt habe, „daß, wenn ein Bischof sündige, sei es auch eine Sünde zum Tode, man ihn nicht absetzen solle.“ Streift man von diesem so allgemein hingestellten Satze das Gehässige ab, als habe sich Callistus zum Anwalt eines jeden nichtswürdigen Bischofes gemacht oder jede Bestrafung der Bischöfe verboten, so ergibt sich daraus, daß sich gegen die in einigen Gegenden gar zu häufigen willkürlichen, aus falschem Rigorismus, oft auch nur aus bösem Parteigetriebe entsprungenen Absetzungen von Bischöfen wegen einer —wirklichen oder vermeintlichen — Todsünde ausgesprochen habe, wozu er offenbar durch Appellationen solcher abgesetzten Bischöfe veranlaßt wurde.
4. Der vierte Vorwurf, den Hippolyt gegen Callistus erhebt, „daß unter ihm Männer, die bereits in zweiter oder dritter Ehe lebten, zu Bischöfen, S. 316 Presbytern oder Diakonen ordinirt worden seien,„ bürdet Diesem nicht eine directe Theilnahme und unmittelbare Mitschuld an dieser Übertretung der apostolischen Vorschriften3 auf, sondern nur insofern eine mittelbare Schuld, als Dieß unter ihm, d. h. wenigstens mit seiner stillschweigender Zulassung oder Duldung geschehen sei. Zur Sache selbst gibt Döllinger folgende Erklärung: Das Wahrscheinlichste ist, daß man schon damals den Unterschied zwischen Bigamie vor der Taufe und nach der Taufe machte und Solche, welche eine Ehe oder beide vor der Taufe geschlossen hatten, trotz ihrer succesiven Doppelehe zu Bischöfen ordinirt wurden, weil man glaubt über diesen Flecken als etwas ihrer heidnischen Lebensperiode Angehöriges hinwegsehen zu dürfen, während die Strengeren meinten, man müsse nach den Worten des Apostels auch Diese von den kirchlichen Ämtern ausschließen. Doch ist es auch sehr denkbar, daß man in einigen Kirchen wegen Mangels an sonst geeigneten Männern mit zeitweiliger Beseitigung des apostolischen Verbotes Bigamisten ordiniren zu dürfen glaubte. Jedenfalls sind diese Worte Hippolyth#s ein Zeugniß dafür, daß schon damals dem Papste die Pflicht und das Recht zuerkannt wurde, etwaige in der Kirche eingerissene Mißstände durch seine Auctorität abzustellen.
5. Gewichtiger erscheint auf den ersten Blick die fünfte Anklage: „Callistus hat, wenn ein Kleriker heirathete, ihn im Klerus zu lassen befohlen, gleich als ob er Nichts verbrochen hätte.“ Wir müssen hier unterscheiden, was Hippolyt hiemit Papste vorzuwerfen scheint, und was er ihm wirklich vorwirft. Nimmt man die Worte, wie sie von Hippolyt so ganz allgemein und unbestimmt (sicher mit Absicht hingestellt sind, so muß man glauben, Callistus allen Geistlichen bis zum Bischöfe hinauf ohne weitere Fol- S. 317 gen zu heirathen gestattet und so Etwas eingeführt oder geduldet, wovon in der ganzen alten Kirche kein weiteres Beispiel sich vorfindet; dagegen ist zu bemerken, daß das Wort Kleriker nach dem damaligen Sprachgebrauche nur die in den niederen Kirchendiensten Stehenden vom Subdiakon abwärts bezeicht; daß es insbesondere auch hier nicht mehr sagt, folgt aus dem Contexte und namentlich daraus, daß Hippolyt gewiß nicht unterlassen hätte, gleichwie in der vorhergehenden Angelegenheit, ausdrücklich: „Bischöfe, Priester und Diakonen„ aufzuzählen, wenn er auf Grund der päpstlichen Verfügung Dieß hätte thun können. Aber auch bezüglich dieser (niederen) Kleriker verordnete Callistus, daß, wenn sie heiratheten, nur suspendirt d. h. ihrer Funktionen enthoben, aber im Klerus d. h. in ihrem bisherigen Rangverhältnisse imFortbezuge der bisher ihnen zugetheilten Subsistenzmittel verbleiben, nicht aber gänzlich abgesetzt werden sollten; das ist der Sinn der Worte: im Klerus lassen. Nackh Hyppolyt's Ansicht hätte Callistus solche Kleriker strenger behandeln, sie ganz absetzen sollen. Weil aber in diesem Punkte in den verschiedenen Kirchen eine verschiedene Praxis herrschte, häufig eine noch viel mildere als die vom röm. Papste eingeführte, stellte Hippolyt diese in so unbestimmter Form auf, damit der Auffassung und Phantasie des Lesers möglichst freier Spielraum gelassen und hie und da auf seinen Gegner Argwohn falle.
6. Eine tief eingreifende Verordnung des Papstes Callistus war die, „daß er christlichen Frauen gestattete, wenn sie unverheirathet und noch in kräftigem jugendlichem Alter seien, sich nach eigener Wahl mit einem Manne zu vermählen, sei es mit einem ärmeren Freigeborenen oder mit einem Sklaven.“ Auch diese dem christlichem Geiste gewiß ganz entsprechende Verfügung beutete Hippolyt zu schnöder Verleumdung des Papstes aus, in dem er, was etwa ausnahmsweise geschah, als nothwendige Folgen jenes Zugeständnisses erklärte, welches nach seiner Versicherung keine andere war, S. 318 als daß einige dieser Frauen, die wegen ihrer Verwandtschaft oder ihres Reichthumes nicht als Mütter von Kindern gelten wollten, deren Vater Sclave oder ein Armer war, sich verbrecherischer Mittel zur Abtreibung der Leibesfrucht bedienten, und hierauf im heftigsten Affecte ausruft: „Seht, bis zu welcher Gottlosigkeit dieser Feind des Gesetzes fortgeschritten ist, so daß er Unzucht und Mord gleich lehrt.„ Ich füge dieser Anklage keine andere Bemerkung hinzu als Döllingers Worte: „Nirgends zeigt sich Hippolyt so in seiner Blöße, nirgends trägt er seine zur Verblendung gesteigerte Leidenschaftlichkeit so zur Schau wie hier.“ Erwägen wir genauer diese Anordnung des Papstes, so ist offenbar, daß ihn hiebei eine doppelte Rücksicht leitete, erstens die Lage der freigeborenen Christinen zu erleichtern, die unter der verhältnißmäßig viel geringeren Anzahl junger Christen aus vornehmem Stande sehr selten einen ebenbürtigen Gemahl finden konnten, und zweitens, den Beruf des Christenthums gegenüber der Sclaverei erfassend, an die allmählige Abschaffung derselben die erste Hand anzulegen. Aber noch eine Bemerkung Hippolyt's zu dieser Verordnung darf nicht übergangen werden, wo er sagt: Callistus habe solche Verbindungen zu rechtmäßige Ehen erklärt, wenn sie auch nicht nach dem (römischen) Gesetze eingegangen wurden; es ist hier nicht der Ort, die dießbezüglichen römischen Gesetze zu erörtern, aber von größter Wichtigkeit ist es, in dieser Erklärung des Papstes Callistus das erste kompetente Zeugniß zu constatiren, daß die Kirche von jeher das Urtheil über die Giltigkeit oder Ungiltigkeit der Ehe ihrem Forum vindicirte und sich hierin durch die staatlichen Gesetze nicht für gebunden erachtete.
7. Endlich legt Hippolyt auch das dem Callistus und noch mehr der mit ihm in Gemeinschaft stehenden Kirche zur Last, daß man unter ihm zuerst angefangen habe, eine zweite Taufe zu ertheilen. Hier wäre S. 319 das zu wiederholen, was schon bei der vierten Anklage gesagt wurde. — Daß übrigens hier von der Wiedertaufe übertretender Häretiker die Rede sei, ist klar, aber auch, daß dieses Wiederholen der Taufe nicht in Rom geschah, sondern anderwärts; wäre Dieß der Fall gewesen, so hätte Hippolyt gewiß diese Anklage anders formulirt; mit Recht konnte sich also etwa 30 Jahre später Papst Stephanus im Ketzertaufstreite mit Cyprian auf die constante Tradition der Kirche berufen, die auch von Diesem nicht bezweifelt oder geleugnet, sondern nur als eine menschliche, irrige bezeichnet wurde. S. 320
