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Wann also war Gott getrennt von dem, was ihm eigen ist? Oder wie kann einer das, was eigen ist, als etwas Fremdes und Andersartiges sich denken? Denn S. 47 alles andere, was geworden ist, hat seinem Wesen nach keine Ähnlichkeit mit dem, der es gemacht hat, sondern es existiert außerhalb von ihm, durch seine Gnade und nach seinem Willen durch das Wort entstanden, so daß es auch wieder einmal aufhören kann, wenn es dem, der es geschaffen, beliebt. Denn solcher Natur ist das Gewordene1. Wie ist es aber nicht verwegen und gottlos, von dem, was dem Wesen des Vaters eigen ist, — denn als dies ist der Sohn anerkannt, — zu behaupten, daß es aus Nichtseiendem stamme, und daß es nicht war, bevor es gezeugt wurde, sondern daß es hinzugekommen sei, und daß es einmal wieder nicht sein könne? Wer aber auch nur so denkt, der möge erwägen, wie die Vollkommenheit und die Fülle der Wesenheit des Vaters beseitigt wird, und man wird dann wieder deutlicher das Ungereimte an dieser Häresie erkennen, wenn man bedenkt, daß der Sohn Bild und Abglanz des Vaters, Gestalt und Wahrheit ist. Denn wenn, die Existenz des Lichtes vorausgesetzt, der Abglanz sein Bild und, die Existenz der Wesenheit angenommen, ihre Gestalt unversehrt ist, und existiert die Wahrheit, wenn der Vater ist, so mögen sie, wenn sie das Bild und die Gestalt der Gottheit mit der Zeit messen, erwägen, in welch tiefen Abgrund der Gottlosigkeit sie fallen. Denn wenn der Sohn nicht war, bevor er gezeugt wurde, so war die Wahrheit nicht immer in Gott. Aber so zu sprechen wäre Unrecht. Denn wenn der Vater war, war in ihm immer die Wahrheit, die der Sohn ist, der sagt: „Ich bin die Wahrheit“2. Und wenn die Wesenheit existiert, so muß absolut notwendig sofort auch deren Gestalt und Bild existieren. Denn nicht von außen her ist das Bild Gottes gezeichnet, sondern Gott selbst ist dessen Erzeuger, in dem er sich selbst schaut und an dem er sich freut, wie der Sohn selbst sagt: „Ich war es, woran er sich freute“3. Wann sah also der Vater sich nicht in seinem Bilde? Oder wann freute er sich nicht daran, S. 48 um kühn behaupten zu können: Das Bild ist aus dem Nichtseienden, und nicht freute sich der Vater, ehe das Bild geworden war? Wie könnte auch der Bildner und Schöpfer sich in einer geschaffenen und gewordenen Wesenheit sehen? Denn das Bild muß so beschaffen sein, wie dessen Vater beschaffen ist4.
Eingehendere Erörterung der Frage: Gottes Wille und Existenz des Sohnes — folgt in der dritten Rede cc. 59 ff. ↩
Joh. 14,6. ↩
Sprichw. 8,30. ↩
Athanasius argumentiert mit der Sohnesbenennung „Bild“ für dessen Ewigkeit. Ein Bild, soll es real sein, kann nur ein Abdruck vom Original sein, nicht, eine äußerliche, losgelöste Imitation. ↩
