3.
Die Irrlehrer verkünden mit diesen ihren perfiden Aufstellungen, auf die sie sich allerhand einbilden, nichts Neues. Sie bringen nur harmlose Menschen und unaufgeklärte Gemüter in Verwirrung. Aber kirchliche Männer, welche Tag und Nacht im Gesetze Gottes forschen, 1 vermögen sie nicht zu täuschen. Sie sollten sich ihrer Führer und Genossen schämen, die behaupten, der Mensch könne ohne Sünde sein (die Griechen sagen ἀναμάρτητος), wenn er wolle. Weil aber für alle Kirchen des Orientes dieser Ausdruck untragbar ist, tun sie, als ob sie die Worte „ohne Sünde“ gebrauchten, aber nicht wagten, mit dem Begriffe ἀναμάρτητος zu arbeiten. Sie stellen sich, als ob ein Unterschied bestände zwischen „ohne Sünde“ und ἀναμάρτητος, als ob der lateinische Ausdruck mit zwei Worten nicht dasselbe besagt wie der zusammengesetzte griechische Terminus. 2 Wenn du 3 „ohne Sünde“ sagst und abstreitest, von ἀναμάρτητος zu reden, dann verurteile doch diejenigen, welche ἀναμάρτητος gebrauchen! Aber du tust es nicht. Du weißt S. b203 ganz genau, was du deine Schüler im geheimen lehrst. Was du sagst, steht nicht im Einklang mit deinen innersten Gedanken, die du zurückhältst. Zu uns, den Außenstehenden und Uneingeweihten, redest du in Gleichnissen, nur für deine Anhänger sind die Geheimnisse bestimmt. Du rühmst dich dann noch, auf diese Weise nach der Schrift zu handeln, die sagt: „Zu den Scharen sprach Jesus in Gleichnissen. Aber zu den Jüngern im vertrauten Kreise sprach er: Euch ist es gegeben, die Geheimnisse des Himmelreiches zu wissen, jenen aber ist es nicht gegeben.“ 4 Wie ich bereits andeutete, will ich kurz die Namen deiner Führer und Genossen nennen, damit du auch merkst, wer diejenigen sind, deren Lehrgemeinschaft du dich rühmst. Die Manichäer behaupten von ihren Auserwählten, die sie innerhalb der platonischen Himmelsräume unter die Gestirne versetzen, 5 sie seien frei von jeder Sünde und könnten auch nicht sündigen, selbst wenn sie möchten. Sie hätten sich zu solcher Tugendhöhe aufgeschwungen, daß sie aller Werke des Fleisches spotten. Der abscheuliche Priszillian, 6 der spanische Ableger der Manichäer, dessen Anhänger dir sehr zugetan sind, ist so verwegen, für sich den Begriff der Vollkommenheit und des Wissens in Anspruch zu nehmen. Zu zweien schließen sich Männer mit Frauen S. b204 ein und singen ihnen, während sie sich der Unzucht hingeben, folgende Verse vor: 7
Dann der allmächtige Vater uns spendet den wärmenden Regen, und in den Schoß der lüsternen Gattin sich senket der Äther, Alles Gebild der Große ernährt mit dem Leibe, dem großen, sich Mischend. 8
Die Priszillianisten haben wieder einen Teil ihrer Theorien der gnostischen Irrlehre, die sich auf den gottlosen Basilides 9 zurückführt, entnommen. Deshalb sagt ihr ja auch, daß solche, die ohne Kenntnis des Gesetzes sind, die Sünden nicht meiden können. Doch wozu halte ich mich bei Priszillian auf, der ja von der ganzen Welt verurteilt und mit dem Schwerte durch die weltliche Macht hingerichtet wurde? Evagrius, 10 aus S. b205 der Landschaft Iberien am Schwarzen Meere gebürtig, der an die Jungfrauen, an die Mönche und auch an sie schrieb, deren Namen die Finsternis schwarzer Untreue anklingt, 11 hat ein Buch und Denksprüche herausgegeben unter dem Titel "περὶ ἀπαθείας“, ein Ausdruck, den wir mit „Leidenschaftslosigkeit“ oder „seelischer Gleichmut“ 12 wiedergeben können. Wird die Seele niemals von irgendeiner sündhaften Vorstellung erfaßt, dann ist sie, kurz gesagt, entweder ein Felsblock oder Gott. Im Orient lesen sehr viele diese Schriften des Evagrius in griechischer und im Abendland in lateinischer Sprache, seitdem sein Schüler Rufinus eine entsprechende Übersetzung angefertigt hat. Rufin hat auch ein Buch über, weiß der Himmel welche Mönche geschrieben. 13 Darin S. b206 zählt er viele auf, die nur in seiner Einbildung existieren oder, die er als Anhänger des Origenes hinstellt. Sicher ist, daß sie von ihren Bischöfen verurteilt wurden wie ein Ammonius, Eusebius, Euthymius, Evagrius selbst nicht zu vergessen, ferner Or, Isidor 14 und viele andere, die alle aufzuführen zu lästig wäre. Nach dem Ausspruch des Lukrez:
Und wenn in heilender Absicht dem kranken Kinde wir reichen bittere Säfte zu trinken, die Lippen zuvor wir bestreichen mit des Honigs süßem, goldenem Seime 15 nennt Rufin am Anfange seines Buches den einen Johannes, 16 der ohne Zweifel katholisch und untadelig gewesen ist, um durch dessen Erwähnung die übrigen Genannten, obwohl sie Irrlehrer sind, zu kirchlichen Männern zu stempeln. Wer aber findet eine richtige Bezeichnung für die Frechheit, ja für den Wahnsinn, ein Buch des Pythagoräers Sextus, also eines Heiden, der mit Christus nichts zu tun hat, unter Änderung des Namens als Werk des Märtyrers Xystus, des Bischofs der römischen Kirche, in Umlauf zu setzen? 17 In diesem S. b207 Buche steht gemäß der Lehre der Pythagoräer, die den Menschen Gott gleich machen und ihm göttliches Wesen zuschreiben, 18 vielerlei über die Vollkommenheit. Wer dieses Werk des Philosophen nicht kennt, der trinkt natürlich unter dem Namen des Märtyrers aus dem goldenen Giftbecher Babylons. 19 Das Buch erwähnt weder einen Propheten, noch einen Patriarchen, noch einen Apostel oder gar Christus, so daß der Eindruck entstehen muß, es hätte einen Bischof und Märtyrer gegeben ohne Glauben an Christus. Dieses Buch ist nun die Fundgrube für die meisten eurer Anwürfe gegen die Kirche. Ähnlich mißbrauchte Rufinus den Namen des heiligen Märtyrers Pamphilus. Das erste der sechs Bücher „Apologie für Origenes“, die Eusebius von Cäsarea, wie allgemein bekannt ein Arianer, verfaßte, hat er als S. b208 Werk des Märtyrers Pamphilus bezeichnet. 20 Dies tat er, um die Lateiner um so geneigter für die Lesung der bekannten vier Bücher περὶ ἀρχῶν die Origenes verfaßt hat, zu stimmen.
Willst du nun noch einen anderen deiner Führer auf der Bahn des Irrtums kennenlernen? Deine Lehre ist ein Ableger der Lehre des Origenes. Wo er nämlich die Psalmenstelle „Bis in die Nacht hinein unterwiesen mich meine Nieren“ 21 erklärt — andere Stellen will ich übergehen —, macht Origenes folgende Ausführungen: Ein heiliger Mann (und ein solcher bist ja auch du), der die höchste Vollendung in der Tugend erreicht hat, leidet nicht einmal in der Nacht unter den menschlichen Schwächen, so daß ihn kein sündhafter Gedanke aufregt. 22 Du brauchst dich gewiß der Gesellschaft solcher Leute nicht zu schämen. Warum sollst du sie verleugnen, wo dich mit ihnen die gleiche Gotteslästerung verbindet? Da deine Irrlehre mit der zweiten Behauptung S. b209 des Jovinian übereinstimmt, 23 so laß auch dir gesagt sein, was ich ihm geantwortet habe. Da ihr beide in der Lehre übereinstimmt, so muß auch euer Schicksal dasselbe sein.
Ps. 1, 2. ↩
Es ist verschiedentlich versucht worden, Hieronymus des Irrtums zu zeihen, da ἀναμάρτητος dem lateinischen „impeccabilis“ gleichkomme und auch in diesem Sinne von den Pelagianern aufgefaßt worden sei. Ein Vergleich mit Joh. 8, 7 und Herod. V 39 zeigt, daß ἀναμάρτητος „sündlos“ bedeutet, aber nicht „unfähig zu sündigen“. ↩
Der Brief wendet sich von hier an in direkter Rede an den nicht mit Namen genannten Pelagius, stellenweise auch an Caelestius. ↩
Matth. 13, 10 f.; Mark. 4, 10 f.; Luk. 8, 10. ↩
Nach der Lehre des Manes werden die aus der Materie befreiten Lichtteile zu beseelten Gestirnen, Auch Platon lehrt, daß der Himmelsraum (ἁψίς) mit beseelten Gestirnen angefüllt sei. So schreibt Tertullian: „Apud Platonem in aetherem sublimantur animae sapientes, apud Arium in aerem, apud Stoicos sub lunam“ (De anima 54; CSEL XX 387 [Reifferscheid-Wissowa ]). ↩
Ein spanischer Irrlehrer und Stifter einer dualistischen Sekte. Er leugnete die Dreifaltigkeit und die Menschwerdung Christi und bekämpfte die Ehe als unmoralisch. Nach der kirchlichen Verurteilung auf der Synode zu Saragossa (380) ließ ihn der Gegenkaiser Maximus im Jahre 385 zu Trier wegen Astrologie und Zauberei trotz des Einspruchs des Bischofs Martin von Tours hinrichten (vgl. auch S. 61 Anm. 1). ↩
Die Priszillianisten standen im Verdacht, bei ihren geheimen kultischen Zusammenkünften der Unzucht zu frönen (Sulp, Sev., Chron. II 48—M PL XX 156f.). Im Verhör zu Trier mußte Priszillian nächtliche Zusammenkünfte mit schlechten Frauenspersonen zugeben. Auch teilte Kaiser Maximus bei Übersendung der Prozeßakten an Papst Siricius mit, daß ihm das Schamgefühl verbiete, sich über die Vorkommnisse auszusprechen (ep. Max. Aug. ad Siricium 4—M PL XIII 592). Rauschen-Wittig (Grundriß der Patrologie,7 Freiburg 1921, 230) beurteilt Lehre und Person Priszillians wesentlich günstiger. Vgl. auch B. III 403 ff. ↩
Vergil, Georg. II 325 ff. ↩
Basilides, ein Zeitgenosse Hadrians, war der Begründer eines gnostisch-dualistischen Systems. Er führte seine Geheimlehre auf die Apostel Petrus und Matthias zurück. ↩
Evagrius Ponticus (345—399), aus der Landschaft Iberien oder der Stadt Ibora am Pontus gebürtig, lebte seit 382 als Mönch und Mönchsschriftsteller in der nitrischen Wüste. Dort schrieb er das Buch μοναχὸς ἤ περὶ πρακτικῆς, das wohl Hieronymus mit liber meint (M PG XL 1219 ff.), falls es sich nicht um die von Sokrates und Gennadius erwähnte Schrift „Sententiae ad eos qui in coenobiis et xenodochiis habitant fratres“ handelt (M PG XL 1277 ff.). An die Jungfrauen schrieb er „Sententiae ad virgines“ (M PG XL 1283 ff.). Wenn Hieronymus schreibt: „edidit librum et sententias περὶ ἀπαθείας“ so ist dabei wohl an die eine oder andere von Rufin übersetzte Gnomenreihe zu denken, in denen gelegentlich von der ὰπαθεία die Rede ist. Ein Werk dieses Titels kennt weder die Überlieferung der Schriften des Evagrius noch Rufins. Immerhin können die syrischen und armenischen Handschriftenschätze noch Überraschungen bringen. Der von Hieronymus hier erhobene Vorwurf des Origenismus verhallte wirkungslos. Erst das 5. allgemeine Konzil hat Evagrius als Origenisten verurteilt (vgl. B. III 93 ff.; 554 f.). ↩
Gemeint ist die ältere Melania (nigredo = μελανία), die mit Rufin in den Orient gereist und origenistisch eingestellt war. Bei ihr hatte Evagrius in Jerusalem Aufenthalt genommen, als er wegen drohender Sündengefahr Konstantinopel verlassen hatte (Palladius, Hist. Laus. 38—BKV V 86 f.). Ein syrisches Manuskript aus dem 6. oder 7. Jahrhundert enthält zum Schluß einen Brief des Evagrius an Melania, der hier gemeint sein dürfte (B. III 97). Grützmachers (III 264) Annahme, daß Evagrius Melania sein Buch „περὶ ἀπαθείας“ gewidmet hat, beruht auf irriger Deutung vorliegender Stelle. ↩
„impassibilitas“ und „imperturbatio“. ↩
Der Titel der Schrift, die wohl eine Übersetzung sein dürfte (B. III 555), lautet: Historia monachorum in Aegypto sive de vitis patrum (M PL XXI 387 ff.). Rufins Übersetzungen der Sentenzenreihen des Evagrius sind untergegangen bis auf die hier nicht gemeinten Sentenzen an die Mönche und die Jungfrauen (vgl. S. 204 Anm. 4). ↩
Ammonius, Eusebius und Euthymius gehören zu den vier „langen Brüdern“, die in der nitrischen Wüste an der Spitze der Origenisten standen und vom Patriarchen Athanasius verurteilt wurden. Über Isidor vgl. BKV II. Reihe XVI 105 Anm. 2. Aller dieser Mönche, Euthymius und Eusebius ausgenommen, gedenkt auch des Palladius historia Lausiaca (c. 1. 5. 11. 38. — BKV V 324 ff.; 336; 339 f.; 399 ff.). ↩
Lucretius, De rerum nat. I 936 ff. ↩
Johannes von Lykopolis, ein Mönch in der Thebais (vgl. Palladius. Hxst. Laus. 35 — BKV V 73 ff.; M PL XXI 391 ff). ↩
Der Pythagoräer Sextus, ein Neffe Plutarchs und Lehrer des Kaisers Antoninus Pius, hatte eine Sammlung von Sentenzen und Lebensregeln herausgegeben. Diese Sammlung wurde vielleicht um 200 in Alexandrien von christlicher Seite umgearbeitet und findet sich zuerst bei Origenes erwähnt. Freilich kann der christliche Einschlag nach dem, was Hieronymus hier über das Werk schreibt, nicht sehr tiefgehend gewesen sein, vorausgesetzt, daß er bei seinem Urteil nicht vom Original ausgeht. Auf christlicher Seite hielt man im 4. Jahrhundert vielfach den Märtyrerpapst Sixtus II. (257/8) für den Verfasser, was auch für Augustinus zutrifft (vgl. Retract. II 68 — CSEL XXXVI 180 [Knöll]). Rufe übersetzte nur die ersten 451 Sprüche ins Lateinische. In der Vorrede hierzu schreibt er: „Sextum in Latinum verti, quem Sextum ipsum esse tradunt, qui apud vos id est in urbe Romana Xystus vocatur, episcopi et martyris gloria coronatus.“ Hieronymus greift Rufin wegen dieser Gleichsetzung (Sextus — Xystus [Sixtus]) wiederholt an, so comm. in Ezech. ad 18, 5 ff. (M PL XXV 173 f.) und comm. in Jer. ad 22, 24 ff. (CSEL LIX 267 [Reiter]). Aus Rufins Vorrede ergibt sich aber, daß der hier und an den beiden zitierten Steilen erhobene Vorwurf der Fälschung nur zur Hälfte berechtigt war. Allerdings bleibt auffallend, daß Rufin der richtige Sachverhalt unbekannt sein sollte, während sich Hieronymus gut unterrichtet zeigt (vgl. B. II 643 f.). ↩
Die Lehre der Pythagoreer, auch die der Neupythagoreer, ist zu unbestimmt und zu verschwommen, um zu erkennen, worauf Hieronymus hier Bezug nimmt. Ihre Ethik kennt Läuterung und ewige Strafe. ↩
Jer. 51, 7. ↩
Pamphilus von Caesarea (309 enthauptet) hat unter Mitwirkung des Eusebius von Caesarea eine Apologie für Origenes in fünf Büchern verfaßt. Eusebius fügte ein sechstes Buch hinzu. Wenn sich auch Eusebius nicht immer gleichmäßig und unzweideutig über seinen Anteil an dieser Apologie ausspricht, so steht Pamphilus als deren Autor einwandfrei fest. Diesen Sachverhalt erkennt auch Hieronymus 392 noch an (De vir. ill. 75). Erst mehrere Jahre später in der Polemik gegen Rufin nimmt er den auch in diesem Briefe vertretenen Standpunkt ein (vgl. auch ep. 84, 11 ad Pammach, et Oceanum). Rufin hatte nämlich inzwischen, um Origenes in den kirchlichen Kreisen Roms als rechtgläubig hinzustellen, das erste Buch dieser Apologie, allerdings mit willkürlichen Änderungen anstößiger Stellen, ins Lateinische übersetzt. Diese Übersetzung ist alles, was von dem Werke des heiligen Märtyrers auf uns gekommen ist (vgl. B. II 288 ff.; III 554). ↩
Ps. 15, 7; vgl. M PG XII 1214 f. ↩
Des Origenes Deutung deckt sich keineswegs mit der pelagianischen Auffassung; denn Origenes lehrt die ausnahmslose Sündhaftigkeit aller Menschen (vgl. Gr. III 264). ↩
Der zweite Satz des Jovinian, den Hieronymus im zweiten Buche gegen diesen Irrlehrer bekämpft, besagt, daß die Getauften den Versuchungen des Teufels nicht mehr unterworfen sind (Adv. Jov. I 3; II 1 ff. — M PL XXIII 224. 295 ff.). ↩
