6.
Sein ganzer Brief ist nicht etwa eine sachliche Auseinandersetzung über Glaubensfragen, sondern nur eine Fülle von Schmähungen gegen mich. Immer wieder wird mein Name hereingezogen unter Mißachtung aller Höflichkeit, ohne welche wir Menschen gegenseitig nicht zu verkehren pflegen. Er wird zerpflückt und hin und her gezerrt, gleich als ob ich bereits aus dem Buche der Lebenden getilgt wäre. 1 Johannes scheint zu glauben, daß mich seine Briefe verletzen, daß ich solchen Nichtigkeiten nachjage, ausgerechnet ich, der ich mich von Jugend auf in die Klosterzelle eingeschlossen habe in der Absicht, etwas zu sein, aber nicht etwas zu scheinen. Manchen von uns tut er etwas mehr Ehre an, um dann um so heftiger über sie herzufallen. Auch wir könnten schließlich von Dingen reden, über die niemand schweigt. Er regt sich darüber auf, daß einer von uns aus dem Sklavenstande zum Priester geweiht wurde, während ihm selbst einige Geistliche unterstehen, denen man den gleichen Vorwurf machen könnte. Er mag doch nachlesen, wie Paulus in seiner Gefangenschaft den Onesimus getauft und, obwohl er ein Sklave war, zum Diakon geweiht hat. 2 Das Wort Sykophant wirft er immer wieder in die Debatte und verschanzt sich selbst, um der Beweispflicht enthoben zu sein, hinter ein „vom Hörensagen“. Wenn es mir gefallen würde, über das zu reden, S. b412 was viele laut hinausschreien, und den Schmähungen von anderer Seite beizupflichten, dann möchte ihm klar werden, daß auch wir wissen, was alle wissen, daß auch ich höre, was niemandem unbekannt ist. Er behauptet, für seine Verleumdungen sei dieser Kleriker belohnt worden. Wer möchte wohl solch einen hinterhältigen und verschlagenen Charakter nicht verabscheuen? Wer könnte gegen die Wucht einer solchen Beredsamkeit aufkommen? 3 Was ist schlimmer, Schmähung erdulden oder Schmähung zufügen? Jemanden anklagen, den man nachher zu lieben vorgibt, oder dem Irrenden verzeihen? Was ist erträglicher, zu sehen, daß ein Sykophant Aedil oder daß er Konsul wird? 4 Johannes weiß ja selbst, worüber ich schweige, worüber ich sprechen könnte, was auch mir zu Ohren gekommen ist, was ich aber aus Furcht vor Christus vielleicht nicht glauben möchte.
Ps. 68, 29; Offenb. 3, 5. ↩
Philem. 10. 13. Der letzte Vers läßt höchstens die Absicht zu, Onesimus zum Diakon zu bestellen. ↩
Diese scharfe Sprache gegen Johannes erklärt sich daraus, daß er den Priester gewordenen ehemaligen Sklaven als verleumderischen Ankläger hinstellt, der für sein Verhalten mit Erteilung der Priesterweihe belohnt worden sei. ↩
Aedil = Priester, Konsul = Bischof. Auf Johannes gemünzt. ↩
