Erster Artikel. Der Unglaube ist Sünde.
a) Dies wird bestritten. Denn: I. Jede Sünde ist gegen die Natur. Der Unglaube aber ist nicht gegen die Natur, nach Augustin (de praed. sanct. 5.): „Glauben haben können, und Liebe haben können, ist der Natur aller Menschen angemessen. Glauben aber thatsächlich haben, wie ebenso Liebe thatsächlich haben, gehört der Gnade der Gläubigen an.“ Nicht also den Glauben thatsächlich haben, was die Ungläubigen angeht, ist nicht gegen die Natur. Und somit ist es nicht Sünde. II. Niemand sündigt darin, was er nicht vermeiden kann; denn jede Sünde ist freiwillig. Es steht aber nicht in der Gewalt des Menschen, den Glauben zu haben; denn: „Wie werden sie glauben dem, den sie nicht hören? Wie sollen sie hören ohne Prediger?“ sagt der Apostel. (Röm. 10.) III. Unter den sieben Hauptsünden sollten doch alle Sünden sein. Der Unglaube aber findet sich nicht darunter und scheint auf keine derselben sich zurückführen zu lassen. Auf der anderen Seite steht die Sünde gegenüber der Tugend. Der Glaube ist nun eine Tugend. Also ist der Unglaube Sünde.
b) Ich antworte; der Unglaube kann aufgefaßt werden: 1. im rein verneinenden Sinne, so daß ungläubig genannt wird, wer keinen Glauben hat; — 2. gemäß einem gewissen Gegensatze zum Glauben, wonach jemand widerstrebt dem gehörten Glauben und ihn verachtet, nach Isai. 53.: „Wer hat geglaubt das, was er von uns hörte?“ Darin nun, in diesem Letzteren, liegt so recht eigentlich der Wesenscharakter des Unglaubens; und danach ist dieser Sünde. Wird er in der ersten Weise betrachtet, wo man nichts gehört hat vom Glauben, so ist der Unglaube nicht so sehr Sünde, wie Strafe; denn solche Unwissenheit in göttlichen Dingen kommt von der Erbschuld, welche der Stammvater hinterlassen hat. Die in solcher Weise ungläubig sind, werden wohl wegen der anderen Sünden verdammt, die ja ohne den Glauben nicht nachgelassen werden können; nicht aber werden sie verdammt wegen der Sünde des Unglaubens. Deshalb sagt der Herr bei Joh. 15.: „Wenn ich nicht gekommen wäre und zu ihnen gesprochen hätte, so würden sie nicht Sünde haben,“ wozu Augustin (traot. 89.) bemerkt: „Er spricht von jener Sünde, daß sie nicht an Christum geglaubt haben.“
c) I. Glauben thatsächlich haben, ist nicht in der Natur des Menschen; aber in der menschlichen Natur ist es, daß der menschliche Geist nicht widerstrebe dem innerlichen Antriebe und der Predigt der Wahrheit außen. Danach ist also der Unglaube gegen die Natur. II. Das ist der einfach verneinende Unglaube; (s. oben). III. Der Unglaube, soweit er positiv Sünde ist, entsteht aus dem Hochmute, auf Grund dessen der Mensch seine Vernunft den Regeln des Glaubens und der gesunden Vernunft nicht unterwerfen will. Deshalb sagt Gregor (31. moral. 17.): „Aus eitler Ruhmbegier fließen die Verkehrtheiten der Neuerer.“ Zudem kann gesagt werden: Wie die theologischen Tugenden nicht auf die Kardinaltugenden zurückgeführt werden, weil sie höher stehen; so auch nicht die ihnen entgegenstehenden Laster auf die Haupt oder Todsünden.
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