Dritter Artikel. Der Unglaube ist die größte Sünde.
a) Das wird bestritten. Denn: I. Augustin (4. de bapt. cont. Donat. 2.) sagt: „Ob wir einen Katholiken, der durchaus sittenlos ist, einem Häretiker, in dessen Leben außer seiner Häresie die Menschen nichts Tadelnswertes finden, vorziehen sollen, das wage ich nicht voreilig zu entscheiden.“ Also ist der Unglaube nicht schlechthin die größte Sünde. II. Der Unglaube entschuldigt in etwa die Sünde, nach 1. Tim. 1.: „Gotteslästerisch war ich und Verfolger und Schmäher, aber ich habe Barmherzigkeit erlangt; denn unwissend that ich es im Unglauben.“ Also ist er nicht die größte Sünde. III. Der größeren Sünde gebühren größere Strafen. Größere Strafen aber gebühren den Gläubigen, die sündigen, nach Hebr. 10.: „Um wie viel schwerere Strafen meint ihr, daß jener verdient, der den Sohn Gottes mit Füßen getreten und das Blut des Testamentes entweiht hat, worin er geheiligt worden!?“ Auf der anderen Seite sagt Augustin zu Joh. 15. (Si non venissem, et locutus): „Eine sehr große Sünde will Er unter dem allgemeinen Namen Sünde verstanden wissen. Denn dies ist die Sünde des Unglaubens, worin alle anderen Sünden enthalten sind.“ Also ist der Unglaube die größte der Sünden.
b) Ich antworte, jede Sünde bestehe der bestimmenden Wesensform nach in der Abwendung von Gott. Um so größer also ist eine Sünde, je mehr sie den Menschen von Gott trennt. Durch den Unglauben wird aber der Mensch am weitesten von Gott entfernt, da er nicht einmal die wahre Kenntnis Gottes hat und da er durch eine falsche sich Gott nicht nähern kann. Es kann auch nicht sein, daß jener mit Bezug auf etwas vielleicht Gott kennt, welcher in anderem eine falsche Meinung von Gott hat; denn was er meint, das ist eben nicht Gott. Also ist der Unglaube offenbar die größte Sünde im Bereiche des Moralischen.
c) I. Es kann eine Sünde, welche ihrer Art nach schwerer ist, minder schwer erfunden werden mit Rücksicht auf einzelne besondere Umstände. Deshalb wollte Augustin nicht voreilig urteilen; denn die Sünde des Katholiken kann durch einzelne Umstände schwerer werden und die des Ungläubigen leichter. II. Der Unglaube schließt Unwissenheit ein und Widerspruch gegen den Glauben; und von dieser letzten Seite her hat er den Charakter der schwersten Sünde. Von seiten der Unkenntnis hat er eine gewisse Entschuldigung. III. Für die Sünde des Unglaubens wird der Ungläubige schwerer bestraft, wie ein anderer Sünder für jede andere Sünde; wenn die Art der Sünde in Betracht gezogen wird. Für jede andere Sünde aber, z. B. für den Ehebruch, wird der Gläubige schwerer bestraft, wie der Ungläubige; denn er verachtet die Gebote seines Glaubens und die Kraft der Sakramente.
