Zweiter Artikel. Die Furcht wird eingeteilt in eine kindliche, anfängliche, knechtische und weltliche.
a) Diese Einteilung ist unzulässig. Denn: I. Damascenus (3. de orth. fide 15.) nimmt sechs Arten Furcht an, nämlich noch die Trägheit und das Erröten. II. Jede von diesen vier genannten Arten Furcht ist entweder gut oder schlecht. Die Furcht aber, soweit sie der Natur allein entspricht, ist weder gut noch schlecht; — denn sie ist im Teufel, der „glaubt und zittert“; und sie ist in Christo, der „anfing zu fürchten und Angst zu haben.“ Mark. 4. Diese also fehlt in der Aufzählung. III. Wie kindliche Furcht, so müßte auch eine Furcht der Gattin gegenüber dem Manne, nämlich die keusche Furcht, angesetzt sein. IV. Die knechtische, die weltliche, die anfängliche, alle diese drei Arten Furcht haben zum Gegenstande die Strafe. Also ist da kein Unterschied. V. Es giebt eine Begierlichkeit der Augen, welche auf die Güter der Welt geht; und eine des Fleisches, die auf das eigene Ergötzen sich richtet. Also muß auch die weltliche Furcht, welche auf die äußeren Güter sich richtet, unterschieden werden von der Menschenfurcht, kraft deren jemand Schaden für die eigene Person fürchtet. Auf der anderen Seite steht die Autorität des Petrus Lombardus. (34. dist. 3. Sent.)
b) Ich antworte; wir sprechen jetzt von der Furcht, insoweit wir kraft derselben in einer gewissen Weise Gott zu- oder von Ihm abgewendet werden. Denn bisweilen trennt sich der Mensch von Gott wegen eines Übels, das er fürchtet; und das ist die Menschen- oder die weltliche Furcht. Bisweilen hängt er Gott an wegen eines Übels, das er fürchtet. Wenn nämlich jemand Gott anhängt, weil er das Übel der Strafe fürchtet, so ist das knechtische Furcht; hängt er Ihm an, weil er das Übel der Schuld, die Sünde fürchtet, so ist das kindliche Furcht; denn Sache der Kinder ist es, die Beleidigungen des Vaters zu fürchten. Hängt er Gott an aus beiden Gründen zusammen, so ist es die anfängliche Furcht. Wie aber das Übel der Schuld gefürchtet werden kann, ist I., II. Kap. 42, Art. 3 erklärt worden.
c) I. Damascenus spricht von der Furcht, soweit sie eine sinnliche Leidenschaft ist; wir sprechen davon mit unmittelbarer Rücksicht auf Gott. II. Die der Natur entsprechende, die natürliche Furcht, wird vorausgesetzt vom moralisch Guten und Bösen; hier ist nur die Rede von der Furcht im moralischen Sinne, die von Gott ab- oder Ihm zuwendet. III. Die sklavische Furcht gründet sich auf die Macht des Herrn; die kindliche auf die Zuneigung des Kindes zum Vater oder der Gattin zum Gatten. Die kindliche und die keusche Furcht ist also dasselbe. Deshalb heißt es Rom. 3.: „Ihr habt erhalten den Geist der Gotteskindschaft, in welchem wir rufen: Abba, Vater;“ — und 2. Kor. 11.: „Ich habe euch verlobt einem einzigen Manne, eine keusche Jungfrau zu sein Christo.“ Beides kommt von der kindlichen oder keuschen Furcht. IV. Die Menschen- oder weltliche Furcht berücksichtigt das Übel der Strafe, unter dem Gesichtspunkte daß es von Gott abwendet, weil die Feinde Gottes übles drohen, wenn man Gott dient. Die knechtische Furcht richtet sich auf das Übel der Strafe, insoweit dadurch die Menschen zu Gott gezogen werden, an erster leitender Stelle; die anfängliche Furcht geht auf den nämlichen Gegenstand, aber so daß die Strafe bereits eine untergeordnete Stelle einnimmt und die Liebe die erste. V. Die äußeren Güter gehören zum Körper. Also ist die Strafe, welche der äußeren Güter beraubt, immer auch eine den Körper betreffende Strafe; und die Furcht, diese Güter zu verlieren, fällt mit der Furcht vor körperlichem Übel zusammen.
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