Siebenter Artikel. Die Furcht ist der Anfang der Weisheit.
a) Dem widerspricht: I. Der Beginn eines Dinges ist bereits dieses Ding selbst. Die Furcht ist aber nicht etwas von der Weisheit; denn letztere ist in der Vernunft, die Furcht im begehrenden Teile. II. Nichts ist das Princip oder der Anfang seiner selbst: „Die Furcht Gottes selber ist aber die Weisheit.“ (Job 28.) III. Dem Beginne geht nichts voran. Der Furcht aber geht der Glaube voran. Auf der anderen Seite ist nach Ps. 110.: „die Furcht des Herrn der Anfang der Weisheit.“
b) Ich antworte; als Anfang der Weisheit kann etwas bezeichnet werden, weil es die Weisheit dem Wesen nach beginnt; oder mit Rücksicht, auf die Wirkung der Weisheit. So sind die Kunstprincipien, von denen als von ihrer Richtschnur die Kunst ausgeht der Beginn der Kunst ihrem Wesen nach; das Fundament aber des Baues ist der Anfang der Kunst, in soweit deren Wirkung in Betracht kommt. Die Weisheit nun selber wird von uns in anderer Weise betrachtet wie von den Philosophen. Denn für diese ist sie nur Kenntnis der ersten Ursachen alles Seins. Für uns aber ist sie die praktische Richtschnur für das thätige Leben, um zum letzten Endzwecke zu gelangen. So nun bilden den Beginn der Weisheit, soweit es auf deren Wesen ankommt, die Glaubensartikel; und danach ist der Glaube der Anfang der Weisheit. Mit Rücksicht auf die Wirkung aber ist der Anfang der Weisheit da, von wo die Weisheit anfängt zu wirken; und danach ist die Furcht der Beginn der Weisheit; anders freilich die knechtische Furcht und anders die kindliche. Denn die knechtische Furcht ist der Anfang der Weisheit wie von außen her vorbereitend; aus Furcht vor Strafe nämlich flieht man die Sünde und wird so geeignet für die Wirkung der Weisheit, nach Ekkli. 1.: „Die Furcht des Herrn vertreibt die Sünde.“ Die keusche Furcht aber ist Beginn der Weisheit wie die erste Wirkung der Weisheit. Denn da es zur Weisheit gehört, daß das menschliche Leben geregelt wird nach den in Gott befindlichen Seinsgründen, so muß von da her das Princip genommen werden, daß der Mensch Gott fürchte und Ihm gehorche. Und dann wird folgerichtig in allem Anderen geregelt sein die Furcht gemäß Gott.
c) I. Nicht mit Rücksicht auf das Wesen der Weisheit ist die Furcht ihr Beginn; da ist es der Glaube. II. Die Furcht Gottes ist für das ganze menschliche Leben was die Wurzel für den Baum ist. Deshalb heißt es Ekkli. 1.: „Die Wurzel der Weisheit ist Gott fürchten; ihre Äste dauern lange.“ Wie also die Wurzel der Kraft nach der ganze Baum ist, so ist die Furcht Gottes die Weisheit. III. Der Unterschied ist oben erklärt worden; er regelt sich nach Ekkli. 25.: „Die Furcht Gottes ist der Anfang der Liebe; der Anfang des Glaubens soll damit verbunden werden.“
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