Vierter Artikel. Die knechtische Furcht ist gut.
a) Dies ist nicht der Fall. Denn: I. Zu Röm. 8. sagt die Glosse (aus Prosper. c. 172. lib. Sent.): „Wer aus Furcht etwas thut, kann etwas thun, was an sich gut ist; er macht es aber nicht in guter Weise.“ Dessen thatsächlicher Gebrauch aber schlecht ist, das ist selber schlecht. II. Was aus der Sünde als der Wurzel kommt, ist schlecht. Zu Job 3.: Quare non in vulva mortuus sum, sagt Gregor (4. moral. 25.): „Wenn die aus der Sünde entspringende Strafe gefürchtet wird, daß sie nicht gegenwärtig werde, und das Antlitz Gottes, den man verloren, wird nicht gesucht; so ist diese Furcht aus Hochmut entsprungen, nicht aus Demut.“ III. Der heiligen Liebe steht entgegen die Liebe um zeitlichen Lohn; ebenso der keuschen Furcht die knechtische. Die Liebe um zeitlichen Lohn aber ist schlecht; also auch die entsprechende Furcht. Auf der anderen Seite ist die knechtische Furcht vom heiligen Geiste, also nicht schlecht; denn zu Röm. 8. sagt die Glosse (Aug. tract. 9. in ep. Johan.): „Der eine einige heilige Geist macht die knechtische und die kindliche Furcht.“
b) Ich antworte; von seiten des Knechtischen her ist die knechtische Furcht schlecht, da sie entgegensteht der Freiheit. Denn wer aus Liebe etwas thut, der thut es von sich selbst aus und nicht getrieben durch die Strafe von außen her. Also gegen die Liebe ist es, was Knechtisches in der knechtischen Furcht sich findet. Wäre also das Knechtische der Wesenscharakter dieser Furcht, so wäre dieselbe schlechthin und ohne weiteres schlecht; wie der Ehebruch schlecht ist, denn seinem Wesen nach ist er gegen die Liebe. Dieses Knechtische aber gehört nicht zum Wesen der knechtischen Furcht ebensowenig wie die Ungeformtheit das Wesen des ungeformten Glaubens bildet. Denn der Gegenstand der knechtischen Furcht ist die Strafe; zu welcher dieses Moment hinzutritt, daß das Gute, dem sie entgegensteht, entweder geliebt wird wie der letzte Endzweck und daß somit die Strafe gefürchtet wird wie das hauptsächliche Übel; und dies hat statt in jenem, der die heilige Liebe in keiner Weise besitzt; — oder daß sie auf den letzten Endzweck wie Zweckdienliches bezogen und somit nicht als Hauptübel gefürchtet wird; dies hat statt in jenem, der die heilige Liebe in sich besitzt. Denn der Wesenscharakter eines Zustandes wird dadurch nicht hinweggenommen, daß der letztere zu einem weiteren Zwecke hinbezogen wird; die knechtische Furcht also ist der Substanz oder dem Wesenscharakter nach gut; aber das Knechtische darin ist schlecht.
c) I. Jenes Wort Augustins bezieht sich auf denjenigen, der etwas aus knechtischer Furcht thut, insoweit diese knechtisch ist; der nämlich in nichts die Gerechtigkeit liebt, sondern nur und einzig die Strafe scheut. II. Nach ihrem inneren Wesenscharakter oder ihrer Substanz gemäß entsteht die Furcht nicht aus Hochmut; sondern nur das Knechtische in derselben, insoweit der Mensch seine Hinneigung nicht der Gerechtigkeit in Liebe unterwerfen will. III. Die Liebe um zeitlichen Lohn widerstreitet an sich der heiligen Liebe und ist deshalb immer schlecht. Die knechtische Furcht aber schließt in ihrer Substanz einzig und allein die Furcht vor der Strafe ein, sei es daß die Strafe als Hauptübel gefürchtet wird sei es daß dies nicht der Fall ist.
