Elfter Artikel. Die kindliche Furcht bleibt bestehen in der ewigen Heimat.
a) Das Gegenteil wird bewiesen: I. Prov. 1. heißt es: „Überfluß wird er genießen, kein Übel mehr fürchten.“ Die Furcht richtet sich aber immer auf ein Übel. II. 1. Joh. 3. wird gesagt: „Wenn Er, Gott, erscheinen wird, werden wir Ihm ähnlich sein.“ Gott aber fürchtet nichts. III. Die Hoffnung ist vollkommener wie die Furcht; sie bleibt aber nicht in der Heimat; also die Furcht noch weniger. Auf der anderen Seite steht der Ps. 18.: „Die heilige Furcht Gottes bleibt in Ewigkeit.“
b) Ich antworte, die knechtische Furcht, jene nämlich vor Strafe, bleibe keineswegs in der ewigen Seligkeit. Die kindliche Furcht aber wächst mit der heiligen Liebe und wird vollendet werden mit der Liebe. Sie wird sich aber nicht in der nämlichen Weise thatsächlich äußern im Himmel wie jetzt auf Erden. Um darin zur Klarheit zu gelangen, muß man berücksichtigen, daß der Gegenstand der Furcht ein möglicherweise eintreffendes Übel ist wie den Gegenstand der Hoffnung bildet ein Gut als möglich zu erreichen. Und da kleine Übel keine Furcht erregen, die Furcht aber eine Bewegung des Fliehens ist, so schließt die Furcht ein die Flucht vor einem schweren drohenden Übel. Wie aber für jedes Ding das Gute darin besteht, daß es seine durch die Ordnung des Ganzen angewiesene Stelle einhält, so ist es sein Übel, wenn es diese Stelle verläßt. Nun besteht die Ordnung der vernünftigen Kreatur darin, daß sie unter Gott sei und über den übrigen Kreaturen. Wie also das Übel der vernünftigen Kreatur darin besteht, daß sie sich der niedrigeren Kreatur durch die Liebe unterwirft; so auch ist es für sie ein Übel, wenn sie sich Gott nicht unterwirft, sondern in freventlichem Vornehmen Ihn verachtet. Dieses Übel ist für die vernünftige Kreatur, wenn ihre Natur betrachtet wird, stets ein mögliches in Ansehung ihres freien Willens, der von Natur zum Guten oder zum Bösen sich wenden kann; in den Seligen wird es freilich unmöglich, aber nur wegen der vollendeten Herrlichkeit, nicht auf Grund der Natur. Die Flucht also vor diesem Übel, was da ist: Gott nicht Unterthan sein, wird vorhanden sein in der ewigen Heimat als möglich mit Rücksicht auf die Natur, als unmöglich mit Rücksicht auf die Seligkeit; — auf dem irdischen Pilgerwege dagegen ist sie immerdar möglich und zwar in jeder Beziehung. Deshalb sagt Gregor (17. moral. 17.) zu Job 27, 11.: „Die himmlischen Kräfte selber, welche Gott den Herrn unaufhörlich anschauen, zittern beim Anschauen Gottes; aber dieses nämliche Zittern, damit es nichts von Strafe an sich habe, ist nicht das Zittern der Furcht, sondern der Bewunderung;“ denn sie staunen über Gott, der über sie erhaben ist und völlig ihnen unbegreiflich. Auch Augustin (14. de civ. Dei 9.) schreibt: „Jene keusche Furcht, welche in die Ewigkeiten der Ewigkeiten hinein bleibt, wenn sie überhaupt im zukünftigen Leben ist, wird keine Furcht sein, der jenes Übel Schrecken einjagt, was da töten kann; sondern eine Furcht, die an jenem Guten festhält, was nicht mehr verloren werden kann. Wo nämlich die Liebe zum erlangten Gute unveränderlich ist; wahrlich, da ist, wenn dies so gesagt werden kann, die Furcht, welche sich vor dem Übel hütet, eine durchaus zuverlässige, nie wankende. Mit dem Namen der keuschen Furcht nämlich wollen wir jenen Willen ausdrücken, kraft dessen es für uns notwendig sein wird, nicht sündigen zu wollen; und zwar nicht etwa als ob unsere Schwäche durch beständige Sorge sich vor Sünde in acht nehmen müßte, sondern weil die feste Sicherheit der Liebe das Sündigen verhütet. Wenn aber da keinerlei solche Furcht etwa sein kann, so ist vielleicht die heilige Furcht deshalb als eine in Ewigkeit dauernde hingestellt, weil dies andauern wird, wohin diese keusche Furcht führt.“
c) I. Nicht die ruhige sichere Furcht ist da ausgeschlossen, sondern die ängstlich sorgende. II. „Die nämlichen Dinge,“ sagt Dionysius (cap. 9.), „sind Gott ähnlich und zugleich Gott unähnlich: ähnlich, weil sie nach ihrem Können den an sich in seiner ganzen Vollendung Unnachahmbaren nachahmen; un ähnlich, weil sie in ihrem minderen Sein nach endlos vielen Beziehungen hin vom Unvergleichlichen sich entfernen.“ Wenn also Gott die Furcht nicht zukommt (der keinen Höherstehenden hat, dem Er sich unterwerfe), so ist damit nicht gesagt, daß sie den Heiligen nicht zukomme. III. Die Hoffnung schließt in sich wesentlich einen Mangel ein, nämlich die Zukünftigkeit der Seligkeit, der natürlich wegfällt durch die Gegenwart der Seligkeit. Die Furcht aber schließt den die Natur notwendig begleitenden Mangel ein, daß sie, die Natur, endlos von Gott fernsteht; und dieser Mangel bleibt auch in den Seligen. Also bleibt irgendwie auch die Furcht.
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