Achter Artikel. Die anfängliche Furcht unterscheidet sich der Substanz nach nicht von der kindlichen Furcht.
a) Dies scheint aber. Denn: I. Die kindliche Furcht ist verursacht von der Liebe. Die anfängliche Furcht aber ist bereits das Princip der Liebe selber, nach Elkli. 25.: „Die Furcht des Herrn ist der Anfang der Liebe.“ Also besteht da ein substantieller Unterschied. II. Die anfängliche Furcht hat Scheu vor der Strafe, welche Gegenstand der knechtischen Furcht ist. Also ist sie dasselbe wie die knechtische Furcht. III. Was in der Mitte liegt, ist unterschieden von den beiden Grenzpunkten. Die anfängliche Furcht aber liegt in der Mitte zwischen der knechtischen und kindlichen Furcht. Also ist sie unterschieden von beiden. Auf der anderen Seite machen die Unterschiede gemäß dem Unvollkommenen und Vollkommenen keinen Unterschied in der Substanz eines Dinges. Die anfängliche Furcht aber und die kindliche unterscheiden sich gemäß dem Unvollkommenen und Vollkommenen, nach Augustin. (Tract. 9. in 1. Joan.) Also.
b) Ich antworte; die anfängliche Furcht wird so genannt, weil sie der Anfang ist. Da aber sowohl die knechtische Furcht wie auch die kindliche in einer gewissen Weise den Anfang der Weisheit bilden, so kann jede von beiden die anfängliche heißen. So aber wird die anfängliche Furcht nicht betrachtet, insofern sie unterschieden wird von der knechtischen und der kindlichen; sondern danachwie sie dem Stande der Anfänger zukommt, in denen die kindliche Furcht angefangen wird durch den Beginn der heiligen Liebe. Noch nicht aber wohnt ihnen die kindliche Furcht vollkommen inne, weil sie noch nicht zur Vollendung der heiligen Liebe gelangt sind. So verhält sich also die anfängliche Furcht zur kindlichen wie die unvollkommene Liebe zur vollkommenen. Da nun bei dieser, der Liebe, kein substantieller Unterschied obwaltet, so auch nicht in der entsprechenden Furcht; es ist da nur ein Unterschied im Grade ein und desselben Zustandes.
c) I. Die Furcht als Anfang der Liebe ist die knechtische Furcht; welche die Thüre öffnet zur heiligen Liebe, wie Augustin (l. c.) sagt. Soll die anfängliche Furcht es aber sein, so ist sie nicht schlechthin und ohne weiteres der Beginn der Liebe, sondern nur mit Rücksicht auf den Stand der vollkommenen Liebe. II. Die anfängliche Furcht scheut nicht die Strafe als den ihr eigens entsprechenden Gegenstand, sondern insoweit sie mit sich verbunden hat etwas von der knechtischen Furcht, die ja der Substanz nach bleibt zugleich mit der heiligen Liebe; abgesehen freilich vom Moment des Knechtischen. Ihr Akt oder ihre Thätigkeit aber bleibt ebenfalls in unvollkommener Weise mit der heiligen Liebe zusammenbestehen in jenem, der Gutes thut nicht allein aus Liebe zur Gerechtigkeit, sondern auch aus Furcht vor der Strafe. Diese thatsächliche Äußerung der knechtischen Furcht hört erst auf mit der voll kommenen Liebe, „die da hinaustreibt die Furcht.“ (1. Joh. 4.) III. Die anfängliche Liebe liegt nicht in der Mitte zwischen der knechtischen und kindlichen Furcht, als ob die beiden letzteren Arten von Furcht nicht substantiell voneinander verschieden wären, nicht also wie etwas im Bereiche einer einigen Art in der Mitte liegt. Sie liegt vielmehr in der Mitte wie das Unvollkommene in der Mitte liegt zwischen dem Vollkommenen und dem Nichtsein (2 Metaph.), wo jedoch das Unvollkommene dasselbe ist der Substanz nach wie das Vollkommene und durchaus verschieden ist vom Nichtsein.
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